Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
hinaus.
Fünf
Als sie außerhalb von Sen Dunsidans Zimmer vor der Geheimtür stand, musste Shadea zunächst einmal tief durchatmen, um sich zu beruhigen. Nach jeder Begegnung mit dem Premierminister fühlte sie sich so aufgewühlt, doch diesmal lag es vor allem an der Aufgabe, die vor ihr lag, dass sie zögerte. Sie berührte die harten Umrisse des Fläschchens in ihrer Robe, vergewisserte sich, ob alles damit in Ordnung sei, und sammelte ihre Gedanken. Heute Nacht musste es geschehen, während die Ard Rhys schlief. In ihren Gemächern war die Ordensführerin für sich, und bisher hatte das auch gestimmt. Felstrolle unter dem Befehl von Kermadec standen Tag und Nacht vor ihrer Tür Wache, und mit ihrer eigenen Magie schützte sie den Raum gegen Eindringlinge. Die Gänge, die den Turm einst hinter den Steinmauern durchzogen hatten, waren vor langer Zeit versperrt worden, so dass es außer den Fenstern nur einen einzigen Weg hinein gab, nämlich die Tür. Aber Shadea hatte eine Möglichkeit gefunden, dies zu umgehen.
Die Felstrolle waren natürlich von wenig Nutzen, wenn der Angriff von innen erfolgte, und so würde es ja sein. Die Magie hatte keine Wirkung, wenn sie nicht gegen den Angreifer schützen konnte, und in diesem Fall traf auch dies zu. Zudem waren die Gänge zwar versperrt worden, doch hatte Shadea erst kürzlich einige in Erwartung dieser Nacht wieder geöffnet. Sie hatte mit jenem Geheimgang begonnen, der zu Sen Dunsidans Gemächern führte, damit sie sich unbemerkt treffen konnten. Zuletzt hatte sie den Gang frei gelegt, der in den Gemächern der Ard Rhys endete. Dafür hatte sie fast zwei Wochen gebraucht, weil er nicht nur mit Stein und Mörtel versiegelt war, sondern auch mit Magie. Diese hatte sie in einem schmerzlich langsamen Prozess zermürbt und schließlich den äußeren Schein wiederhergestellt, als wäre sie noch vorhanden. Sie starrte in die Dunkelheit, die sie umgab, gewöhnte ihre Augen daran und beruhigte sich. Alles war vorbereitet.
Sie gestattete sich ein finsteres, gieriges Grinsen und ging los.
Shadea a'Ru hatte ein schweres Leben hinter sich, aber all die Schicksalsschläge und Niederlagen hatten sie abgehärtet. Indem sie überlebt hatte, war sie körperlich kräftiger und seelisch zäher geworden. Mit diesen Eigenschaften würde sie etwas erreichen, von dem andere nur im Stillen träumen durften. Abgesehen von Terek Molt waren ihre Mitverschwörer in privilegierten Verhältnissen aufgewachsen. Deswegen hegte sie keineswegs Groll oder fühlte sich betrogen; im Gegenteil, sie schwelgte darin.
Mit acht Jahren war sie Waise geworden, ihre Mutter war bereits im Kindsbett gestorben, ihr Vater fand sein Ende auf der prekkendorranischen Anhöhe. Shadea und ihre Geschwister wurden voneinander getrennt und zu verschiedenen Verwandten geschickt, mit zehn Jahren jedoch lief sie fort und sah keinen von ihnen jemals wieder. Für ihr Alter war sie groß und ein wenig unbeholfen, aber sehr stark. Während sie heranwuchs, verschwand die Unbeholfenheit, ihre Kraft hingegen steigerte sich. Fünf Jahre lang lebte sie in den Straßen von Dechera und hielt sich mithilfe ihrer Klugheit und ihres Mutes am Leben, manchmal auch durch die Güte anderer.
Mit fünfzehn war sie schon fast einen Meter achtzig groß, und nun trieb sie sich bei den Kasernen der Föderation herum und erledigte gelegentlich Arbeiten für die Soldaten. Einige wenige erprobten auch, welchen Widerstand sie gegen unerwünschte Annäherungen leistete, denn inzwischen sah sie sehr hübsch aus, allerdings ließ man sie stets in Ruhe, wenn man begriff, dass sie nicht nur groß und stark war, sondern auch noch zu kämpfen wusste. Ein paar Soldaten brachten ihr den Umgang mit Waffen bei. Sie begriff rasch, besaß sie doch eine natürliche Begabung dafür. Mit zwanzig besaß sie mehr Gewandtheit im Kampf als die Männer, die sie unterrichtet hatten. Mit vierundzwanzig hatte sie zwei Jahre Dienst an der Front hinter sich und wurde von allen mit Respekt betrachtet.
Im darauf folgenden Jahre lernte sie den Krüppel kennen. Seine Abstammung war nicht zu bestimmen, so knorrig und deformiert war er, und unmöglich konnte man ihn einer der Rassen zuordnen. Seinen Namen erfuhr sie niemals, doch spielten Namen in ihrem Verhältnis keine Rolle. Er praktizierte die Kunst der Magie, vor allem konnte er Zauber wirken. In sie hatte er sich vernarrt, obgleich sie die Gründe dafür nie begriff, und er war bereit, ihr sein gesamtes Wissen beizubringen,
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