Die Magier von Shannara 1 - Das verbannte Volk
damit er nur in den Genuss ihrer Gesellschaft kam. Diesen Handel ging sie gern ein. Lediglich ein Jahr blieb sie bei ihm, rückblickend jedoch erschien ihr die Zeit viel kürzer. Als sie sich kennen lernten, litt er bereits unter schweren gesundheitlichen Problemen, und am Ende des Jahres war er tot. Bevor er starb, lehrte er sie, was er über Magie wusste, und das war viel. Er war ein Meister auf der Suche nach einem Lehrling, doch traf er seine Wahl sorgfältig. Bestimmt hatte er sie schon eine Weile lang beobachtet, dachte sie sich später, und sich vergewissert, ob sie die Mühe wert war. Nachdem er sich für sie entschieden und festgestellt hatte, dass sie sich von seinem Aussehen nicht abschrecken ließ, widmete er ihr die verbleibende Zeit.
Warum er sich entschlossen hatte, sie in seinen letzten Monaten zu unterrichten, verriet er ihr nicht. Vielleicht sah er dadurch einen Sinn in seinem Leben, anstatt einfach nur abzuwarten, bis das Unvermeidliche eintrat. Außerdem bereitete es ihm wohl Vergnügen, zuzuschauen, wie seine schwindenden Fähigkeiten in einer jungen und starken Person wieder aufblühten. Vielleicht blieb ihm in diesem letzten Jahr nur mehr das Lehren, und deshalb tat er es. Oder er fand ihre Gegenwart einfach tröstlich. Möglicherweise wollte er ja bloß nicht einsam sterben. Gleichwohl, sie nahm sein Geschenk an und stellte keine Fragen. Ihre natürliche Begabung für die Magie zeigte sich schon bald. Fast von Anfang an beherrschte sie die feine Kunst der Zauberei, bereits in der ersten Stunde begriff sie, wie Hände und Worte zusammenwirken mussten, und war in der Lage, kleine Zauber zu wirken. Rasch machte sie Fortschritte und begann zu ahnen, welche Geheimnisse sie noch zu enthüllen hatte.
Nachdem er in ihren Armen seinen letzten Atemzug getan und so den verdienten Trost empfangen hatte, setzte sie ihre Studien einige Jahre lang allein fort, in einer Unterkunft, die nicht fern von ihren Freunden unter den Föderationssoldaten lag. Mit ihnen verbrachte sie weiterhin viel Zeit, obwohl sie kein großes Interesse mehr an der Föderation hegte. Sie brauchte Freiheit, konnte mit Bevormundung und Regeln nichts anfangen. Ihre Zukunft sah sie woanders.
Der Bruch mit der Föderation ereignete sich auf unerwartete Weise. Sie war zu lange geblieben und sprach deshalb vielleicht zu oft darüber, fortzugehen. Manch einer nahm Anstoß daran, meist Männer, die sie nur beiläufig kannte und die sie weiter nicht beachtete. Eines Nachts betäubten die sie und verschleppten sie zu einer verlassenen Hütte am Ufer des Rappahalladran. Dort hielt man sie zwei Tage gefangen, schändete sie auf unaussprechliche Weise und warf sie schließlich in den Fluss, wo sie ertrinken sollte. Da sie zäher als erwartet war, gelang es ihr durch reine Willenskraft, in Sicherheit zu gelangen und zu überleben.
Sie kam wieder zu Kräften, kehrte in die Stadt zurück und tötete die Übeltäter einen nach dem anderen. Danach floh sie, denn die Toten hatten höchstwahrscheinlich Verwandte und Freunde. Es gab Gerede, und früher oder später würde man sie zur Rechenschaft ziehen. Außerdem hatte das Erlebnis Verbitterung in ihr hervorgerufen, gegen die Stadt, gegen die Föderation und gegen das Leben im Allgemeinen. Die Zeit war reif, den Ort zu wechseln. Sie hatte vom Dritten Druidenrat gehört und glaubte, dort vielleicht eine Heimat zu finden, doch wollte sie nicht eher um Aufnahme in den Orden bitten, als sie sicher war, auch akzeptiert zu werden. Also zog sie nach Westen in den Wildewald und nach Grimpen Ward, der letzten Zuflucht für Flüchtlinge und Verbannte aller Art, wo sie sich zurückziehen und ihre magischen Fertigkeiten perfektionieren wollte. Nur selten kam jemand nach Grimpen Ward und suchte nach einem von jenen, die sich und ihre Geheimnisse dort verborgen hielten.
Hier blieb sie bis zu ihrem achtundzwanzigsten Geburtstag, hielt sich von den anderen Bewohnern fern und übte ihre Kunst mit der Zielstrebigkeit aus, die ihrer Persönlichkeit entsprach. Ihre Studien dehnte sie auf Tränke und Zaubersprüche aus, auf den Gebrauch der Erdmächte und der Elemente und vor allem auf die Beschwörung von Schatten und toten Dingen, die ihr Wünsche erfüllen oder Einsichten gewähren konnten. Sie vertiefte ihre Kenntnisse, aber dabei starben auch ihre Emotionen ab. Nie hatte sie Schwierigkeiten gehabt, zu töten, wenn es notwendig war, doch nun wurde das Töten zu einem Mittel ihrer Magie. Töten war unerlässlich, um
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