Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
Schultern, um ja nicht noch gesehen zu werden. Jeglichen Schmuck hatte sie zu Hause gelassen. Ihre Schwestern würden sich darüber freuen. Sie seufzte. Eigentlich ließ sie alles zurück. Aber sie würde Mutter wiedersehen und Safi. Noch vor Mitternacht erreichte sie den Tempel und betrat mit gemischten Gefühlen das Haus des Totengottes. Vorsichtig tastete sie sich an den Wänden entlang, immer tiefer in das Labyrinth der Gänge hinein. Es dauerte lange, bis sie die richtige Abzweigung gefunden hatte. Dann begann sie, mit zitternden Fingern die Hieroglyphen abzutasten. Eher zufällig berührte sie dabei den bewussten Skarabäus. Der Schreck fuhr ihr in alle Glieder, als sich die steinerne Wand knirschend nach oben bewegte, doch schlüpfte sie schnell in die verbotene Kammer. Hinter ihr fuhr die Wand wieder herunter. Nun war sie endgültig der Gunst der Götter ausgeliefert, denn wie man das Tor von innen öffnet, hatte ihr niemand gesagt. Im festen Glauben, gleich sterben zu müssen, legte sie sich auf den Boden, wie es ihre Mutter verlangt hatte. Es roch nach Staub und sie begann, trotz der Decke, jämmerlich zu frieren. Nach endlos scheinenden Minuten zog eine wahre Eiseskälte über sie hinweg. Dann fing ihr Körper zu kribbeln an, als zögen ganze Armeen von Ameisen darüber hin. Plötzlich war ihr, als sacke der ganze Boden unter ihr weg. Es war ein schneller Fall, alles drehte sich in ihrem Kopf, keinen Laut gab sie von sich, die Götter sollten sie klagen hören, wenn sie in deren Reich geworfen wurde. Es war ihre Entscheidung gewesen. Sternenhaufen explodierten in ihrem Kopf, Merit-Amun wurde ohnmächtig.
Irgendwann kam die junge Frau wieder zu sich. Es war noch immer stockdunkel. Sie tastete neben ihrem Körper entlang. Stein, immer noch Stein. Sie war also noch immer in der Kammer gefangen. Ihr wurde die Luft knapp. Sie versuchte, aufzustehen und stellte entsetzt fest, dass sich auch direkt über ihrem Körper alles nach Stein anfühlte. Panikwellen durchfluteten sie, aber sie zwang sich zur Ruhe. Ihr schien, als hätte sie auf der anderen Seite des Steines Geräusche gehört. Es waren Stimmen. Ja, tatsächlich, mehrere Stimmen klangen vor ihrem Gefängnis auf. Ob sie mich wohl finden? Plötzlich begann es zu knirschen, als würde sich das Tor im Tempel wieder öffnen. Weiches Licht drang herein. Der Stein, der über ihrem Gefängnis lag, wurde beiseite gehoben. Fremde Männer schauten neugierig auf sie herab. „Ah, da ist sie ja!“ Der Mann mit der hellen Löwenmähne hatte die Worte gesprochen. „Sie scheint es gut überstanden zu haben“, sagte der, mit den braunen Locken und winkte jemanden heran. Über dem Rand der Steinwanne erschien der Kopf einer Frau.
„Mutter?“
„Meine liebe Tochter, mein liebes, liebes Kind.“ Neri konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. Sie hatte sich über die Wanne gebeugt und umarmte ihre geliebte Merit-Amun.
„Bleib noch liegen. Du darfst nicht zu schnell aufstehen.“ Neri drückte ihre Tochter sanft zurück.
„Bin ich jetzt im Reich der Toten?“
„Nein, weit davon entfernt.“ Neri winkte mit der Hand. Noch eine Person tauchte auf. Merit-Amuns Augen wurden groß. Safi, ihr Safi, schaute sie lächelnd an. Vorsichtig nahm er seine große Liebe auf die Arme und trug sie hinaus in den jungen Tag. Merit-Amun glaubte zu träumen. Sie gingen genau auf einen Vorhang aus tosendem Wasser zu. Dann bog der kleine Pfad nach rechts ab und ihr Blick fiel auf einen tiefblauen See, wie sie ihn noch nie zuvor gesehen hatte. Saftiges Gras, blühende Blumen und unzählige Bäume konnte sie sehen und riechen. Ja, so hatte sie sich immer das Land der Götter vorgestellt. Und dann sah sie die vielen Fremden, die gekommen waren, um sie zu begrüßen. Überall fröhliche Gesichter und Festtagsgewänder. Zwei Männer standen vor der großen Gruppe. Der eine kam ihr seltsam bekannt vor. Als er sich umdrehte, flüsterte sie. „Das ist ja Hatik. Hatik ist auch hier.“
Er kam mit ausgestreckten Händen auf sie zu. „Herzlich willkommen auf Atla, Prinzessin.“
Drei Stunden später saßen alle in Solons Haus. „Wenn das so weiter geht, muss ich wohl noch anbauen.“ Solon strahlte freudig in die Runde. Merit-Amun saß zwischen Safi und ihrer Mutter, sie hatte etwas Mühe, mit dem lockeren Umgang untereinander. Talos sah es ihr deutlich an.
„Frag einfach, wenn dich etwas bedrückt. Dann kommst du schneller mit der neuen Situation klar. Jetzt werde ich dir erst einmal
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