Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
Stunden ein. Nicht einmal die Seherin konnte genau sagen, wann der endgültige Abschied sein würde. Wie immer, fand das große Treffen der letzten Atlan auf der großen Wiese am Bergsee statt. Es war auch der einzige Platz, der so vielen Personen gleichzeitig Raum bot. Schon am zeitigen Morgen zogen die ersten Gäste mit Körben voller Früchte und frischem Brot zum See hinaus. Etwas später trafen die Ältesten mit den sechs Auserwählten ein. Sie traten ins Zentrum des Kreises, um den sich die Gäste gelagert hatten. Sofort verstummten alle Gespräche. Tausende Augenpaare hingen an den Lippen Solons, der die Festlichkeiten eröffnete. Mit wohlgesetzten Worten sprach er von den bevorstehenden Ereignissen, über die Aufgaben, die die sieben Zeitreisenden zu erfüllen suchten. Er versprach noch einmal allen betroffenen Familien jede erdenkliche Hilfe. Sein eigenes Leid verschwieg er dabei. Als er geendet hatte, spendeten die Versammelten Beifall. Jeder hatte Hochachtung vor jenen Atlan, die für ihr Volk sogar ihr Leben opfern würden.
Als die Feier in vollem Gange war, hatte Rami endlich die Gelegenheit, noch einmal mit Neri zu sprechen. Eigentlich sprachen sie weniger miteinander – sie saßen Hand in Hand nebeneinander, genossen ihre Nähe und die letzten gemeinsamen Stunden. Solon brach es fast das Herz, wenn er die beiden so betrachtete. Talos konnte ihn verstehen. Ihm ging das Schicksal, welches Rami bevorstand, ebenfalls sehr, sehr nahe. Sorgenvoll glitt sein Blick über das Gebirgsmassiv. Es gab kein Zurück mehr. Hoffentlich gelang es, den bösartigen Feind im Zaum zu halten, wenn Neri und Rami nicht mehr da waren. Sollte Letan wirklich erwachen, war alles verloren. Mühsam zwang er sich zu anderen Gedanken. Sein Blick flog über die Feiernden. Dem Anlass angemessen, herrschte eine getragene, ernste Atmosphäre. Talos gesellte sich zu Tigri. Die Senatorin reichte ihm einen Becher Honigwein. „Na, du siehst aus, wie sieben Tage Regenwetter.“
„Ach Tigri, so fühle ich mich auch.“
„Ich wüsste nicht einmal, wie ich dir Trost spenden könnte. Die Situation ist mehr als ernst.“
„Trotzdem danke, für dein Mitgefühl. Die gedrückte Stimmung scheint sich sogar auf die Kinder zu übertragen. Sie wollen heute nur traurige Geschichten hören.“
Am frühen Nachmittag ging die Abschiedsfeier langsam zu Ende. Die meisten Atlan zogen wieder nach Hause. Nur die Familien der Auserwählten blieben in der Siedlung, um ihre Lieben bis zum Ende zu begleiten.
Vier Tage nach dem Fest ging eine blutrote Sonne auf. Sie tauchte die Insel in unheilvolles Licht. Neri und die Magier wussten augenblicklich Bescheid. Der Abschied war gekommen. Auf dem höchsten Grat des Gebirges begann die Luft zu flimmern, goldfarben zu gleißen und sich wie eine Windhose zu drehen. Mi-Kel erschien. Neri hörte seine Stimme in ihrem Kopf.
Sei gegrüßt, Neri. Der Augenblick ist günstig. Ihr habt nur wenig Zeit. Wenn die Sonne hier im Zenit steht, müsst ihr in der anderen Zeit euer Ziel erreicht haben. In einem gleißenden Lichtblitz verschwand Mi-Kel wieder. Neri rief mittels Telepathie die Auserwählten und die Magier, dann kleidete sie sich in ihr rituelles Prunkgewand, verbarg die Statuette in einem kleinen Beutel an ihrem Gürtel. Sie hob ihren Kristall vom Sockel. Noch einmal schaute sie, Abschied nehmend, in ihrer Hütte umher, um schließlich zur Grotte zu eilen. Von überall her zogen schweigende Atlan zum Gebirge. Unwirkliches Licht sickerte durch unnatürlich rote Wolken. Gespenstige Stille herrschte, kein Vogel, kein Insekt war zu sehen oder zu hören, sogar das Rauschen des Wasserfalls wirkte gedämpfter. Lautlos schlüpften die Atlan in den steinernen Tunnel. Als Letzter betrat ihn Rami, der ihn hinter sich mit einem dreifachen Energiesiegel verschloss. Die anderen Atlan hatten inzwischen die Tempelhöhle erreicht. Neri und die Magier platzierten ihre Kristalle auf dem polierten Altarstein, die sechs Zeitreisenden begaben sich mit klopfenden Herzen und sehr gemischten Gefühlen zu ihren Sarkophagen. Die gähnenden Öffnungen der Wannen hatten etwas Endgültiges. Keiner von ihnen wusste, ob er jemals wieder lebend das Behältnis verlassen konnte. Kira warf einen verzweifelten Blick zu Neri. Diese nickte ihr mit geschlossenen Augen zu. Ein Gefühl der totalen Ruhe zog in Kiras Körper, der nun keinen Widerstand mehr leistete. Neri hob mit gespreizten Fingern beide Hände zur Decke der Höhle. Auf dieses Zeichen hin,
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