Die Magier von Tarronn (1) (German Edition)
hatte inzwischen die Stallungen erreicht. Er rieb Binti trocken, gab ihm Wasser, mistete schnell noch einmal aus, um, nachdem er frisches Stroh aufgeschüttet hatte, zu Füßen des Pferdes zu schlafen. In Karnak würde er es wohl kaum noch tun dürfen. Also nutze er jede Möglichkeit, mit seinem Tier zusammen zu sein. Heute wollte der Schlaf nicht so recht kommen. Hatik wälzte sich von einer Seite auf die andere und dann wieder zurück. Plötzlich fuhr er schweißgebadet hoch. Ganz deutlich hatte er gehört, dass jemand seinen Namen rief. Es hatte so schauerlich und gequält geklungen, dass er vor Schreck erwacht war. Der Junge horchte angestrengt in die Nacht. Draußen war alles ruhig. Sogar Binti-Amun schlummerte ganz friedlich. Unbewusst fasste Hatik nach seinem Amulett. Die unnatürliche Wärme des Metalls ließ ihn erschauern. War das schon der Hilferuf der geheimnisvollen Göttin aus dem Amulett gewesen? Was konnte er tun? Wo war sie überhaupt? Verzweifelt presste er das Udjat an die Brust. „Oh, Horus, hilf mir doch! Sag mir, was ich tun soll!“ Ein milder Schein huschte über das silberne Auge des Gottes, glitt durch den Stall, um in Richtung des Kamels von Raia zu verschwinden. Hatiks Blick folgte dem schwachen Leuchten. Er konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Der Junge lag noch lange wach, alle Sinne zum Zerreißen gespannt.
Bei Sonnenaufgang wurde er von Binti geweckt. Hatik quälte sich mühsam aus dem Stroh, völlig übermüdet steckte er den Kopf in den Wassertrog, um wenigstens einigermaßen wach zu werden. Er fühlte sich wie zerschlagen. Da hörte er auch schon den Tumult von draußen und lugte verwundert aus dem Fenster. Irgendetwas musste passiert sein. Aber was? Hatik rannte auf den Hof, wo er nur ein paar Gesprächsfetzen auffing.
„… ist im gestreckten Galopp in die Wüste gerannt …“
„Das verrückte Vieh hat ihn einfach umgerannt …“
Der Junge wurde immer neugieriger. Warum hatte irgendwer irgendwen umgerannt und ist dann in die Wüste galoppiert? Das wollte er genau wissen. Es war noch nicht einmal richtig hell geworden, als er im Hause von Pepi eintraf. Der hatte ihn noch gar nicht erwartet, war aber hocherfreut ihn zu sehen. „Du kommst wie gerufen. Es gibt Ärger. Das Kamel, welches dir Raia mitgegeben hatte, ist weg. Es ist wie ein Irrwisch aus dem Stall gesprungen, hat zwei Soldaten über den Haufen getrampelt, ehe es geradenwegs in die Wüste gerannt ist. Wir konnten es noch nicht wieder einfangen.“
„Dann werde ich mich mit Binti sofort auf die Suche machen.“
„Das ist gut, darum wollte ich dich gerade bitten. Aber sei vorsichtig. Nimm auch genügend Wasser mit. Du weißt ja, wo die Schläuche liegen.“
Hatik verbeugte sich kurz, dann eilte er zum Stall. Im Vorhof füllte er zwei Ziegenbälge mit dem kostbaren Nass aus der Quelle. Diesmal legte er sich einen Sattel bereit, denn wo hätte er sonst die Schläuche befestigen sollen? Dann holte er seinen Rappen herbei, um ihn zu beladen, nachdem er ihn gesattelt hatte. Mit Binti verließ er bald darauf die Oase, auf der fast verwischten Fährte des entlaufenen Kamels. Den Spuren nach, musste das Tier ausdauernd gerannt sein. Er ließ sein Ross so schnell traben, dass er gerade noch die Tritte des Ausreißers erkennen konnte. Stunde um Stunde geriet er tiefer in die Wüste. Manchmal hielt er an, um sich zu orientieren. Die große Wanderdüne war ein fester Punkt. Als gegen Mittag die Hitze unerträglich wurde, hielt er an, um Binti Wasser zu geben und selbst auch einen Schluck zu trinken. Er hatte das Kamel noch immer nicht gefunden. Es war zum Verzweifeln – der reinste Albtraum. Albtraum? Ihm fielen die Ereignisse der vergangenen Nacht ein. Der Ruf – das Licht – das Kamel. Das war es! Wie elektrisiert sprang Hatik auf. „Binti, wir müssen die Fremde finden! Sie muss einfach hier in der Wüste sein! Das Amulett kann mich nicht belogen haben! Horus hat uns das Kamel als Führer bestimmt. Schnell!“
Hatik tat gut daran, sich zu beeilen, denn das magische Ritual in der Vergangenheit hatte die Atlan Neri und ihre Begleiter bereits in seine Zeit gebracht und zwar genau, wie geplant:
Der Senat hatte alle Atlan zur Hauptsiedlung beordert. Die sechs Auserwählten bereiteten sich mental auf ihre Aufgabe vor. Das Los war nur unter ledigen Frauen und Männern geworfen worden, um nicht noch mehr Leid über die Familien zu bringen. Einige tausend festlich gekleidete Atlan fanden sich innerhalb weniger
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