Die Magierin des Windes: Roman (German Edition)
Flur hinunter auf eine weitere Doppeltür zu. Diese hier war hölzern und weitaus weniger hoch als das Tor. Plötzlich neugierig geworden sah Falkin hinauf. Die Decke hing viel niedriger, als die Silbertüren draußen hätten vermuten lassen. Als sie zurückblickte, waren sie noch immer silbern, wirkten aber nicht höher als die Flurdecke.
»Wir können uns später noch hier umsehen, wenn du möchtest.« McAverys Flüstern klang in ihren Ohren rau.
Der Haushofmeister hielt ihnen die hölzernen Türen auf und wartete so geduldig wie ein Stein. Falkin hatte sich mit offenem Mund wie ein Kind umgesehen. Jetzt eilte sie vorwärts, trat über die gewölbte Türschwelle und in einen weiteren Korridor hinein. Dieser hier war hell erleuchtet; Wandhalter, die in gewissen Abständen hingen, enthielten fröhlich flackernde Fackeln. Die Buntglasfenster, die sie von der Straße aus bewundert hatte, erhoben sich majestätisch oberhalb der Fackelreihe. Da aber draußen Nacht war, war ihre Wirkung weniger durchschlagend; die Farben traten nicht so stark hervor. Sie kamen an mehreren breiten Türen vorbei, die alle geschlossen waren, bis der Haushofmeister endlich vor einer stehen blieb. Er öffnete sie und winkte sie herein. Es war ein Salon: Warmes Feuer prasselte im steinernen Kamin, und mehrere bequeme Sessel waren in dem wohlgeordneten Chaos überall verteilt.
»Bitte wartet hier.« Der Haushofmeister verneigte sich wieder und verschwand dann. Falkin starrte die geschlossene Tür an und schüttelte den Kopf.
»Wenn ich an Geister glaubte – und das tue ich nicht! -, dann würde ich schwören, dass er einer ist«, sagte sie.
»Er ist der vollendete königliche Diener.« McAvery machte es sich in einem der weichen Ledersessel bequem und hängte das Bein über eine Armlehne. »Verschmilzt mit der Umgebung. Ich wette, er könnte während einer heiklen Verhandlung unmittelbar neben Seiner Segensreichen Majestät stehen – und später würde doch jeder andere Teilnehmer schwören, es sei niemand sonst da gewesen.«
Die Tür wurde aufgestoßen. McAvery sprang auf. Falkins Hand sank an ihre Waffe, während sie in Verteidigungshaltung ging; dann hielt sie überrascht inne. Das konnte doch nicht sein. Sie hatte zwar damit gerechnet, heute Nacht alle möglichen Menschen hier zu treffen, aber ganz bestimmt nicht ihn. Zumindest nicht aus eigener Kraft aufrecht stehend. Sie hatte doch vor Tagen erst gesehen, wie sein Leichnam von ihrem Deck getragen wurde.
»Haltet den Mund und kommt mit, ihr beiden«, knurrte Cragfarus. »Ihr habt Seine Hoheit lange genug warten lassen.«
Kapitel 30
Merkwürdig war es selbst im Traum Die Toten aufersteh’n zu seh’n …
Samuel Taylor Coleridge
ER TRUG EINE saubere Uniform; sein Haar war zurückgestrichen und das Kinn frisch rasiert, aber durch die Sauberkeit allein wurde sein Gesichtsausdruck keineswegs angenehmer. Und er schien überhaupt nicht mehr darunter zu leiden, dass sie ihn vor Kurzem erst durchbohrt hatte.
»Beeilt Euch. Musstet Ihr auch ausgerechnet heute Abend auftauchen, da sich die ganze verfluchte Familie hier herumtreibt? Dieses verdammte Wiesel von einem Haushofmeister ist schon losgezogen, um Lig zu holen.«
Falkin schnappte nach Luft und bemühte sich redlich, nicht aus der Rolle zu fallen. Lig! Der Mann, den sie so dringend treffen musste, kam also geradewegs zu ihr. Das Glück war endlich auf ihrer Seite. Oder würde es sein, wenn sie in diesem Zimmer bleiben konnte, bis er eintraf. »Wen?«
Er sah finster drein. »Menja Lig, den persönlichen Danisober des Königs.«
Die Luft wich ihr aus der Lunge und ließ sie kalt und schwindlig zurück. Lig war ein Danisober. Und kein Magus wie jeder andere, sondern der persönliche Danisober des Königs. Der Mann, um dessentwillen sie von so weit her gekommen war, der Mann, der Binns vor dem sicheren Tod retten konnte. Würde er denn auf sie hören, das Logbuch nehmen und ihrem Freund helfen? Oder würde er sie als das erkennen, was sie war, und sie in eine Zelle in der Danisoberschule verschleppen, wo sie nie mehr das Sonnenlicht sehen oder die Gischt auf ihrem Gesicht spüren würde?
Sie packte die Rückenlehne des Stuhls und versuchte, die Beherrschung zurückzugewinnen. Er hatte keine Möglichkeit, das zu wissen. Alles, was sie tun musste, war, ruhig zu bleiben, das Buch zu übergeben und Binns zu befreien.
Cragfarus machte eine ruckartige Bewegung zum Korridor hin. »Ich kann gar nicht glauben, dass
Weitere Kostenlose Bücher