Die Maikaefer
wolkenlosen Himmel blau leuchten ließ. Otto Grohmann holte uns nach dem Frühstück mit der zweispännigen Kutsche ab, weil auch die drei Schattner-Kinder mitfuhren. Tante Doro hatte meine Mutter dazu überredet, damit Paul und Irmchen von ihren scheußlichen Kriegsspielen wegkämen. Sie hatte mir eine Tafel Schokolade versprochen, wenn ich Paul alles auf dem Gut zeigen würde. »Wir sind hier auf dem Land, und er hat keine Ahnung, wie es auf einem pommerschen Gut zugeht. Du wirst dafür sorgen, dass sich das ändert, hörst du?«, hatte sie zu mir gesagt.
Ich war sofort gierig auf die Schokolade, denn Schokolade gab es schon seit Langem nicht mehr. Entweder hatte sie sie aufgehoben, was bei drei Kindern eher unwahrscheinlich war, oder sie bekam sie aus Berlin durch die Beziehungen ihrer Schwester.
Eine Bitte, die von Pauls Mutter kam, hätte ich auch ohne Schokolade nicht abgeschlagen. Dazu hatte ich sie zu sehr ins Herz geschlossen. Sie war nicht nur warmherzig, sondern auch einfühlsam. Sie ahnte schlechte oder schwierige Stimmungen bei anderen, nahm Rücksicht und fand immer tröstende Worte. Sie war auch die Einzige, die begriffen hatte, dass ich alles über das Rittergut wusste, was mir schmeichelte, obwohl ich eigentlich nur erzählt hatte, wem es gehörte, dass Onkel Albi mit Tante Sissi verheiratet war, dass sie keine Kinder hatten und dass Tante Sissi einmal gesagt hatte, wenn ich so begeistert von der Landwirtschaft sei, sollten sie mir vielleicht später das Gut übergeben.
Das war die Wahrheit. Sie hatte dabei zwar gelacht, aber sie äußerte niemals etwas leichthin, was andere wichtig nahmen.
Ich liebte sie, denn sie war zu jedem auf dem Gut freundlich, und alle verehrten sie. Onkel Albi war ernster und strenger als sie, aber ich mochte ihn trotzdem, weil er mir erlaubte, überall dabei zu sein. Ich durfte bei jedem Gespann mitfahren, und die Gespannführer ließen mich sogar beim Anschirren der Pferde helfen, obwohl ich dafür eigentlich zu klein war. Sie standen wohl immer daneben, griffen auch zu, aber gaben mir das Gefühl, dass ich wüsste, wie es ginge.
Ich kannte die Namen aller sechs Gespannführer, die auch für die Fütterung und Pflege der Pferde verantwortlich waren. Sie unterstanden dem Hofmeister Erich Domke, der morgens früh die Arbeit für die einzelnen Fuhrwerke einteilte. Vorher läutete er die große Glocke, die vor der Schreinerei hing. Wenn wir auf Drewitz waren, war die Glocke auch für mich das Zeichen loszurennen. Ich brauchte nicht lange, um die Rangfolge der Gespanne zu kennen. Wurde zum Beispiel die erste Furche beim Pflügen auf den großen Feldern gezogen, die Hunderte von Metern lang war, teilte Erich Domke den ersten Gespannführer Julius Schugk dafür ein, weil die Furche schnurgerade verlaufen musste.
Auf dem Gut gab es fünfzig bis sechzig Pferde, und immer wollte ich schon früh um vier aufstehen, weil sie dann gefüttert wurden. Jeder der Gespannführer hatte eine große Futterkiste, in der Häcksel, Schrot und Hafer aufbewahrt wurden. In einer Kiepe wurde das Häcksel mit dem Schrot oder Hafer vermischt und danach etwas angefeuchtet. Manchmal durfte ich vom Kornboden Hafer oder Schrot holen oder während der Fütterung beim Ausmisten oder frisch Einstreuen helfen. Nur an die Häckselmaschine, wo das glatte Stroh geschnitten wurde, ließen sie mich nicht heran.
Am liebsten half ich beim Putzen der Pferde, obwohl ich nur die Beine oder den Bauch striegeln konnte. Im letzten Winter kassierte ich großes Lob, weil ich geholfen hatte, die Pferdegeschirre mit Tranöl einzufetten, damit sie geschmeidig blieben. Ich hatte mich sehr angestrengt, damit sie so schwarz glänzten, als wären sie neu. Am prachtvollsten waren die Geschirre der Kutschpferde, die im Winter zusätzlich mit einem Schellengeläut geschmückt wurden.
Im Kutschenstall, für den Otto Grohmann zuständig war, standen nicht nur die Kutschpferde und die Reitpferde von Onkel Albi und Tante Sissi, das Pferd des Administrators und des Hofmeisters, sondern auch der Zuchthengst, ein reinrassiger Trakehner mit Stammbaum. Einmal war ich beim Decken dabei. Otto Grohmann hatte eine Leiter an die hohe Bretterwand gestellt, die die Deckeinrichtung umgab, damit niemand von den Hufschlägen der Stute getroffen würde. Obwohl ich hoch oben über die Holzwand lugte, bekam ich ein wenig Angst, als die Stute sich von dem Hengst nicht besteigen ließ und ihre Hufe so wild gegen die Bretterwand hämmerte, dass meine
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