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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Sie hatten ihr Nest auf dem Dach der Dreschscheune, in der auch das Korn lagerte. Jeden Tag wurde es von zwei Frauen gewendet, damit es nicht schimmelte. All diese Tätigkeiten störten die Störche nicht, denn sie waren immer ganz damit beschäftigt, Frösche zu fangen, um ihre zwei Jungen zu füttern. Es gab eine Menge Teiche und Tümpel um das Gut, wo sie ihre Beute fanden. Wir waren kaum auf den Feldweg eingebogen, da stieg einer der beiden mit langen Schlägen seiner Schwingen auf. Ich stieß Paul aufgeregt an und zeigte dorthin, denn er hatte sicher noch nie einen so großen Vogel gesehen, aber er sagte nur: »Ein Storch.«
    Ich mochte die Störche, denn sie brachten die Babys und galten mir als Zeichen, dass alles auf dem Gut auf eine friedliche Weise ablief. Ich malte sie oft und gerne, mir gefielen ihre Farben – das Schwarz-Weiß des Gefieders, die roten, langen Stelzen und das leuchtende Rot ihrer Schnäbel.
    Der Storch schaufelte sich flach über die Siedlung der Gutsarbeiter hinweg, die links unseres Weges lag, nicht weit entfernt von den mit Stacheldraht umzäunten Baracken der russischen Kriegsgefangenen. Die Jahre zuvor war es ein gewöhnlicher Maschendrahtzaun gewesen, aber eines Tages verlangte Ortsgruppenleiter Finke, dass er durch hohen Stacheldraht ersetzt würde.
    Ich hatte bei Onkel Albi dagegen protestiert, weil die Kriegsgefangenen zu uns Kindern immer nett waren und einer mir sogar das Fahrradfahren beigebracht hatte, indem er hinten den Sattel festhielt und aufpasste, dass ich nicht umkippte. Es waren umgängliche Leute, ohne die das Gut gar nicht bewirtschaftet werden konnte, seit die meisten Gutsarbeiter an der Front waren. Fast allen von ihnen ging es auf Drewitz besser als in Russland, auf jeden Fall besser als bei der Roten Armee, und so nahm es nicht Wunder, dass das Verhältnis zwischen ihnen und den Gutsbewohnern entspannt und freundlich war. Niemand von ihnen wäre geflohen. Der Stacheldrahtzaun ging allein auf Anweisungen Finkes zurück, der auch die abgesprungenen Flieger »auf der Flucht« erschossen hatte. Als wir die Siedlung erreichten, in der auch Eule und Hotte wohnten, fuhren wir am großen Teich rechts in die Kastanienallee ein, die schnurstracks auf das Herrenhaus zuführte. Es war der Teich, in dem abends auch unsere Gänse badeten. Ich schaute nach rechts zum Backhaus, aus dem gerade Irmgard Plum mit ein paar Broten herauskam. Die Plums waren »Umquartierte« und stammten aus dem Siegburger Kreis. Hilde, die Mutter, war wegen der Bombengefahr mit ihren zwei Kindern nach Ostdeutschland evakuiert worden. Sie war eine nette Frau, gewohnt, mit anzupacken, und schon an ihrem Gang und den festen Schritten sah man, wie viel Kraft sie hatte. Auch ihr Sohn Schmierbacke, der eigentlich Oswald hieß, war ein kräftiger Kerl und wirkte mit 16 schon wie ein Mann. Er nannte seine Schwester Mauerblümchen, was sich inzwischen bei allen eingebürgert hatte, weil sie so vernarrt ins Lesen war. Am liebsten hockte sie in ihrer Freizeit mit einem Buch in der Scheune, wo sie ungestört war. Die Mutter und Mauerblümchen halfen in der Küche, Schmierbacke bei den Kühen.
    Ich kannte die ganze Familie. Wenn ich in der Küche war, beobachtete ich gern die Mutter und zählte ihre »Puster«. So nannten Mama und ich es, wenn sie versuchte, die Strähnen, die ihr ins Gesicht fielen, wegzupusten, was sie andauernd tat. Zwar sollte ein Band ihr rotes Haar festhalten, aber das klappte ganz und gar nicht. Mauerblümchen hatte die vielen Sommersprossen von ihrer Mutter geerbt, aber nicht das Haar. Ihres war aschblond und ziemlich dünn. Sie kämmte es zwar über ihre abstehenden Ohren, für die sie sich schämte, aber leider war das Haar zu dünn, und die Ohren schauten zwischen den aschblonden Strähnen heraus. Dadurch fielen sie noch mehr auf. Außerdem ging sie etwas nach vorn gebeugt, weil sie sich wegen ihrer kleinen Brüste schämte. Wenn die anderen Kinder oder Mädchen vom Gut im Sommer abends am Teich saßen und schwatzten, verbrachte sie die Zeit damit, sich mit dem Diener Heinrich Bach über Bücher zu unterhalten. Er las dieselben Bücher, und wenn er dann darüber sprach, hing sie buchstäblich an seinen Lippen. Meine Mutter meinte, in diesen Momenten würden ihre sonst steifen Bewegungen ganz flüssig und natürlich, und all ihre Schüchternheit wäre dahin. Hilde Plum hatte recht – ihre Kinder waren verschieden wie Tag und Nacht.
     
    Wir fuhren am Backhaus und an der Schmiede

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