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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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mürrisch wurde er, als sie obendrein bestimmte, dass wir die drei Mädchen mitzunehmen hätten. Das gefiel auch mir nicht. »Dagi und Laura sind noch zu klein«, protestierte ich, doch es half nichts.
    »Nach dem Mittagessen müssen sie schlafen, bis dahin nehmt ihr sie mit.«
    Meine Mutter schlug eine große Wanderung über das Gut vor, damit die Schattner-Kinder erst einmal lernten, wo alles war. Wir sollten beim Friedhof im Norden anfangen und bei der Verladestation der Kleinbahn im Süden aufhören. Durch den Park durfte niemand, aber in diesem Fall genehmigte es Onkel Albi.
    »Es ist ein warmer Tag, ideal für eine Landpartie«, meinte meine Mutter, als sie uns hinausschob.
    Auf dem Friedhof zeigte ich Paul zuerst die Helden des Krieges, wie meine Mutter sie nannte. Das waren die, die schon aus dem Krieg zurück und hier beerdigt worden waren, wie der Gärtner Hans Ossowski, Ruthchens Vater. Da war außerdem der Kutscher und Chauffeur Johannes Bretschneider, der sehr stolz darauf gewesen war, mit 34 Jahren schon Kutscher und Chauffeur zu sein. Ich erinnerte mich sehr gut an sein breites Gesicht mit der schiefen Nase, was von einer Schlägerei herrührte. In seiner Jugend war er ein Raufbold gewesen, weil er nicht wie sein Vater Wilhelm sein wollte, ein ängstlicher, unbeständiger Mann ohne eigene Meinung, der es nicht weiter gebracht hatte als bis zum Pferdeknecht. Johannes aber wollte selbst stark sein und kümmerte sich schon früh um die Fahrzeuge auf dem Hof, denn ein Fahrzeug war noch stärker als ein Pferd. Es gab anfangs zwar nur Onkel Albis Auto, nicht mal einen Traktor, aber Johannes reichte das. Schließlich schaffte er es, seine eigene Unbändigkeit zu zügeln, sodass er die ersehnte Stelle als Kutscher und Chauffeur bekam. Seine Sprache blieb grob und holprig, was Onkel Albi nicht gefiel, auch nicht, dass er ins Stocken geriet, wenn er nicht das richtige Wort fand. Daher schützte er sich durch zunehmende Schweigsamkeit. Selbst gegenüber seiner Frau Ida. Schweigsam und streng – das war nichts für Kinder, obwohl Johannes das Kätzchen Minki, Liebling der Kinder, sanft behandelte. Ich konnte mich noch daran erinnern, wie er nach Feierabend im Sessel saß, Minki auf seinem Schoß kraulte und mit ihr zusammen schnurrte. Das waren seine intensivsten Unterhaltungen.
    1943 wurde Ida mitgeteilt, dass sie keinen Mann mehr hatte. Onkel Albi bemühte sich, seine sterblichen Überreste nach Drewitz zu holen. Nachdem es ihm gelungen war, kniete Ida nieder und küsste ihm die Hand.
    Onkel Albi holte auch Kurt Pieper heim, den Rechnungsführer aus der Verwaltung, und Lars Holte aus der Gärtnerei. Langsam ging ich mit Paul von Grabstein zu Grabstein, um ihm all das über die Menschen auf Drewitz zu erzählen, was ich wusste. Aber da Paul diese Menschen nicht gekannt hatte, langweilte es ihn, und er wollte mir lieber verklickern, wie der Krieg mit Polen begonnen hatte.
    Leider konnte ich ihm nicht berichten, was die Leute, die hier auf dem Friedhof lagen, im Krieg getan hatten. Ich wusste nur, wer sie auf dem Gut gewesen waren und was sie hier getan hatten. Doch das wollte er nicht hören.
    Paul war zu den Mädchen gegangen, die in einer Ecke mit Ricki spielten, den jeder auf dem Gut kannte und mochte. Ich ging auch hin, aber sie spielten nichts, sondern hockten da und beobachteten eine Katze. Es war Minki, die Katze von Johannes Bretschneider. Kam sie hierher, um ihn an seinem Grab zu besuchen?
    Ich konnte nicht wirklich darüber nachdenken, weil Paul schon wieder mit seinem Kriegszug anfing. Diesmal redete er vom Ersten Weltkrieg und dem Friedensvertrag von Versailles. Er versuchte mir klarzumachen, dass es kein Friedensvertrag war, sondern das Diktat der Siegermächte. Der Krieg sei schon zu Ende gewesen, aber dennoch hätten die Polen Oberschlesien besetzt, also rein deutsches Gebiet. Das sei ein glatter Landraub gewesen. So sah das Paul, klopfte mir auf die Schulter, schaute mich begeistert an und dachte, dass ich ihn verstanden hätte. Ich dachte aber nur daran, den Schattner-Kindern das Gut zu zeigen, nahm Ricki an die Hand und überredete ihn und die Mädchen, mit zum Sägewerk zu kommen. Wirklich gewinnen konnte ich sie nur, indem ich versprach, sie würden in einer Hochzeitskutsche fahren und danach die gerade geborenen Fohlen sehen.
    Die große Kutsche fanden sie tatsächlich interessant, und alle kletterten hinein. Gleich darauf gingen wir zum Stall mit den Reit- und Kutschpferden, aber die Boxen

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