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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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geklebt hatte. Hotte hatte auch verschiedene Figuren beschrieben, die die Gutsarbeiter und das Personal im Herrenhaus darstellten. Diese Figuren ließen sich sicher in zwei Hälften teilen, von denen die eine die Angreifer darstellen könnten.
    Paul packte eine angenehme Erregung, er fühlte sich warm und lebendig, und alle Trostlosigkeit, die ihn gerade noch so steif gemacht hatte, war verschwunden. Leise schlüpfte er aus dem Zimmer, die Treppe hinunter und aus dem Hauptportal. Wie von alleine liefen seine Füße. Um nicht gesehen zu werden, wählte er den Weg hinten an den Stallungen und der Remise vorbei zur Schmiede. Schon aus einiger Entfernung hörte er das Klingen des Hammers auf den Amboss.
     
    Hotte war alleine. Er glühte und glättete einige Hufeisen. Paul brauchte nicht lange, um ihn zu überreden, sich Pauls Kriegskunst an seinem Drewitz-Modell zeigen zu lassen. Er war sich sicher, dass Hotte schon sehr bald genauso entflammt sein würde wie er.
    Damit hatte er auch Recht, jedenfalls anfangs. Und so lange Hotte ihm das Modell erklären konnte – den Friedhof, die Kapelle für die Andachten, den Park, das Herrenhaus mit den Jahrhunderte alten Kellerräumen und Fundamenten, die Stallungen, vor allem die Schmiede, die einzelnen Weiher und sogar den Schäfer mit den zwei Herden –, war er begeistert und wie verliebt in seinen jungen Zuhörer aus Berlin, der mit glänzenden Augen und roten Ohren zuhörte.
    Das war neu, denn vorher hatte Paul das alles gelangweilt. Nun aber war er voller Aufmerksamkeit und stellte immer wieder Fragen, um sich die Anlage genau einzuprägen. Dann ließ er sich die Figuren erklären, angefangen bei Onkel Albi und Tante Sissi, die er sogleich zum Bürgermeisterpaar von Chatyn machte. Der Administrator Rudolf Bahlow wurde zum Leiter der örtlichen Polizei in Chatyn und der Hofmeister Erich Domke zum Arzt in der örtlichen Krankenstation.
    Als Hotte wissen wollte, wer denn die Deutschen sein sollten, entschied sich Paul ohne zu zögern für Elsbeth Schlodhauer.
    »Das ist eine Frau«, wandte Hotte ein.
    »Gut, dann nehmen wir ihren Mann als deutschen Führer der SS-Einheit.«
    »Ihr Mann ist an der Front.«
    »Ist doch für unser Spiel egal. – Such mir zwei kleine Eisenklötze.«
    »Wofür?«
    »Das sind zwei deutsche Tiger-Panzer. Die deutsche Einheit nähert sich dem Dorf und stößt unter dem Schutz der angrenzenden Wälder mit zwei Panzern vor. Drei Lastwagen fahren hinterher, auf denen die Fußtruppen sitzen. Sowie sie aus dem Wald kommen, versuchen sie, den Zufahrtsweg zum Dorf so schnell wie möglich zu erreichen und biegen dann in die Zufahrtsstraße ein, die auf den Dorfteich zufuhrt. Das ist hier! Hier, siehst du das? Dort machen die Panzer einen Stopp, die Scharfschützen springen von den Lastwagen und beziehen Stellung in den Giebeln der Stallungen hier, um einen guten Überblick über das ganze Dorf zu haben. Die Männer schwärmen aus und stürmen die Arbeitersiedlung – hier – zur Linken, besetzen die Häuser und treiben die, die sich ergeben haben, auf die Zufahrtsstraße zum Herrenhaus, was bei uns jetzt das Bürgermeisteramt ist.«
    »Und was machen die russischen Verteidiger?«, fragte Hotte.
    »Ich habe da nicht so viele Informationen, ich weiß nur, dass der Bürgermeister und seine Frau sich nach der ersten Angriffswelle erhängt haben, weil sie nicht in Gefangenschaft gehen wollten. Du musst dir überlegen, wie du das Dorf verteidigst.«
    Hotte hatte nicht erwartet, dass der nette, aber viel jüngere Gast ihm plötzlich Befehle erteilen würde. Er betrachtete ihn amüsiert, aber auch ein wenig mitleidig, wenngleich er erst einmal über Pauls stürmische Begeisterung verblüfft war, mit der er sein mühevoll gebautes Drewitz überfallen wollte. Er hielt Paul für ein typisches Berliner Großstadtkind, das sich mit Enthusiasmus eine Welt vorstellte, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Hotte selbst baute und schmiedete die Dinge mit seinen eigenen Händen und wusste von den Schwierigkeiten und welche Ruhe und Geduld allein zum Bau eines kleinen Modells nötig waren. Wie alle anderen half er bei der Ernte und kannte auch den langsamen und beharrlichen Prozess vom Säen über das Großziehen bis zum Ernten und wusste, dass sich nichts mit fliegender Begeisterung erreichen ließ. All die Dinge, mit denen er zu tun hatte, waren nicht wie die Gedanken, schnell her und schnell wieder weg. »Wie soll ich das Dorf verteidigen ohne Panzer, ohne Flak, ohne eine

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