Die Maikaefer
dicke Kissen erst niederboxen, um sie zu sehen.
Wir hatten vergessen, Zähne zu putzen, und unsere Mutter scheuchte uns wieder aus dem Bett ins Kalte. Im Bad gab es für Dagi extra eine Rutsche, auf die sie sich stellen konnte, damit sie an den Wasserhahn reichte. Ich brauchte das nicht, zog aber trotzdem die zweite Rutsche heran, um auf den marmornen Waschtisch zu klettern. Ich setzte mich an den Rand des Beckens, ließ warmes Wasser ein und wusch ganz gemütlich meine Füße. »Du musst dir auch deine Füße waschen«, sagte ich genauso streng wie mein Vater, aber Dagi antwortete frech: »Ich habe meine Füße schon gewaschen.«
Das war eine Lüge, denn wir hatten zusammen den Speisesaal verlassen. »Nein, das hast du nicht, du bist ja eben erst ins Bad gekommen und hast dir noch nicht einmal die Zähne geputzt!«
»Das habe ich wohl.«
Sie war verstockt, was mich so wütend machte, dass ich nach meiner Mutter rief. »Mami, Mami, komm mal her, Dagmar will sich nicht die Füße waschen!«
Als meine Mutter kam, trompetete Dagi los, sie brauche sich die Füße nicht zu waschen, die seien nicht schmutzig.
»Zeig mal.«
Sie stieg von der Rutsche herunter, setzte sich darauf und hielt beide Füße in die Luft. »Hier!«
»Ja, die sind sauber«, sagte meine Mutter ungerechterweise. »Hast du deine Zähne schon geputzt?«
»Das musst du machen.«
»Sie muss das lernen!«, sagte ich unerbittlich.
Aber Mami ließ sie es nicht lernen, sie putzte sie ihr. Durch den Spiegel blickte mir Dagi dabei so voller Spott in die Augen, dass ich mir vornahm, später, wenn das Licht aus sein würde, unheimliche Brummgeräusche zu machen.
Nachdem uns unsere Mutter Gute Nacht gesagt und das Licht gelöscht hatte, wartete ich, bis sich die Stille in Dagis Ohren ausgebreitet haben würde. In dieser großen, dunklen, unendlichen Stille einer Pommerschen Winternacht konnte schon ein unmerklich leises Scharren oder Röcheln Wellen der Angst auslösen. Ich lauschte erst einmal, bevor ich anfing.
Es war ganz leise in unserem Zimmer, doch aus dem Pferdestall kam ein Schnauben und gleich darauf wieherte eines der Pferde. Vielleicht war ein Marder eingedrungen oder einer der Wölfe, die bei großer Kälte bis in diese Gegend vordrangen. Auf Zehenspitzen schlich ich zum Fenster und stellte fest, dass im Pferdestall noch Licht brannte. War da alles in Ordnung? Es schneite, und die großen Schneeflocken, die durch den Lichtschein taumelten, machten mich nach einer Weile schwindlig. Auch wurde mir kalt, und ich schlüpfte schnell ins Bett unter die mollige Decke. Wie ein Feder-Iglu wölbte sie sich über mir. Brummen war mir nun zu anstrengend, und ich gab nach zweimal Gähnen auf.
Am nächsten Morgen war alles eingeschneit. Zu meiner Freude sagte meine Mutter uns beim Frühstück, dass wir eine Schlittenfahrt machen würden. Ich konnte es nicht erwarten, zog mir schnell alles an, was meine Mutter mir hinhielt und sauste über den Hof zum Pferdestall.
Ich wollte den Stallmeister fragen, welche Kutsche wir nehmen würden und welche Pferde. Das Gut hatte vierzig Pferde, da gab es eine gute Auswahl, aber der Stallmeister meinte, es würden wieder die zwei Rappen für das Herrengespann genommen werden. Gut, die zwei Rappen kannte ich bereits, die liebte ich schon, aber wo waren sie?
»Die sind schon draußen«, sagte er. »Kutscher Reese spannt sie schon ein.«
Ich sauste nach draußen auf die andere Seite hinter den Stall, aber ich kam zu spät, für mich blieb nichts mehr zu tun.
Kutscher Reese füllte noch die linke Laterne mit Karbid.
»Darf ich die Kutsche vorfahren?«
»Das kannst du nicht, du Käsehoch«, und schon war er oben.
In mir stieg sofort Wut auf, aber ich war machtlos. Vielleicht hätte ich sagen sollen, »Sie können es mir ja zeigen, dann kann ich es«, doch das hätte in seinem Ton eine freundliche Einladung vorausgesetzt, nicht nur barsche Abweisung. Er war nicht sachlich wie Otto Grohmann, er war grob und ruppig. Er hatte mich nicht einmal auf die Kutscherbank gelassen. Er brüllte »Hü!«, schwang die Peitsche, die Pferde schnauften, und ich hätte hinterher laufen müssen, wäre ich nicht schnell auf das Trittbrett gesprungen. Ich hängte mich so hinaus, dass ich die Hufe durch den Schnee stauben sah.
Vor der Freitreppe hielten wir. Noch war niemand da.
Reese kletterte vom Bock und ging die Freitreppe hinauf, die inzwischen gefegt worden war. Er verschwand im Haus und kam erst nach einer halben Stunde mit
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