Die Maikaefer
Köstlichkeiten, und da Tante Ulla mich zusätzlich noch anfeuerte, von allem zu nehmen, hatte ich anschließend Bauchschmerzen.
Als wir aufbrachen, schlich sich die Dämmerung schon durch die Tannen, und Reese steckte die Laternen an der Kutsche an. Ich kletterte zu ihm auf den Bock, aber er ließ mir wieder nicht die Leine, obwohl es nicht viel zu tun gab, weil die Pferde von alleine ihren Weg zurück fanden. Auf der Fahrt durch den Wald sprach niemand, denn Tante Ulla war eingeschlafen. Trotz der hohen Bäume machte der Schnee alles hell, aber als wir ins Freie kamen, sah ich, dass es der Vollmond war, der den Schnee glitzern ließ.
Abends kam Urte und setzte sich zu uns ans Bett. Sie war sehr fröhlich und freute sich, dass wir zu ihrer Hochzeit gekommen waren. Sie wollte uns vorbereiten, wie alles ablaufen würde. Werner, ihr Bräutigam, war noch nicht da, man erwartete ihn erst am Freitag zur Trauung, und sie wusste schon jetzt, dass er nur zwei Tage Fronturlaub haben würde. Am Sonntag müsste er schon wieder weg.
»Das ist schade«, sagte Dagi.
Urte lachte über das ganze Gesicht. »Schade, Schokolade, der Krieg ist bald zu Ende, und dann muss er gar nicht mehr weg.« Sie hatte dunkles Haar wie ihre Mutter, das zu einem dicken Zopf geflochten war. Sie nahm ihn nach vorne, öffnete die rote Schleife, flocht das Ende noch einmal nach und band die Schleife wieder um. Auch ihre Brauen waren kräftig und dunkel, ihre Augen aber so blau und strahlend, dass ich sie schon allein deswegen ins Herz schloss. »Wenn einer von unseren Landarbeitern heiratet, dann wird ein Schwein geschlachtet, ein paar Hühner, manchmal auch ein Hammel. Aus dem Dorfbackofen kommen dann der Kuchen, die Brote und etliche Pfannen mit Fleisch. Das sind die Vorbereitungen, die schon vor dem Polterabend beginnen. Der Polterabend ist fast immer am Donnerstag, und die Jugend aus der ganzen Gegend kommt. Die Glückwünsche bringen sie mit dem Porzellan, das vor dem Haus des Brautpaares zerschlagen wird. Scherben bedeuten nämlich Glück. Wer eines hat, bringt sein Instrument mit. Vor allem die Teufelsgeige darf nicht fehlen, denn nach dem Poltern wird aufgespielt und im Freien getanzt. Deshalb sind diese Hochzeiten meistens im Sommer. Für das Brautpaar ist der Polterabend der Abschied von der Jugendzeit. Am Freitag ist die Hochzeit, die Musikanten spielen wieder auf, und jeder Gast wird mit einem Ständchen begrüßt und bekommt ein ordentliches Frühstück mit Bier und Schnaps. Dann geht es mit dem Kutschgespann ins Städtchen zum Standesamt, und die Gäste folgen auf den Leiterwagen, die mit Girlanden und Schleifen festlich geschmückt sind. Nach der standesamtlichen Trauung dann in die Kirche. Die Brautkutsche fährt unser Kutscher Reese, der Uniform, weißes Hemd, Krawatte und Schirmmütze trägt. Die Braut ist weiß gekleidet mit weißem Häubchen und Schleier, der Bräutigam mit Zylinder, Gehrock, weißem Hemd und weißer Fliege, weißem Einstecktuch, weißen Handschuhen. Auch die Trauzeugen tragen Zylinder, weiße Hemden und einen schwarzen Gehrock, die Brautjungfern kurze, weiße Kleider mit weißen Schleifen in den Zöpfen, und die erwachsenen Damen gehen in weißen, langen Kleidern mit kurzen Ärmeln. Wenn sie aus der Kirche zurück sind, kommt das große Mittagsmahl, das bis abends geht und dann wird in der Scheune die halbe Nacht getanzt.« Urte lachte, und ich sah, dass sie Grübchen hatte. »Da will dann jeder mit der Braut und dem Bräutigam tanzen.«
»Und wie ist es bei dir?«
»Bei mir ist es so ähnlich, nur machen wir keinen Polterabend, wo Geschirr zerschmissen wird. Stattdessen geben wir ein großes Essen für alle, die hier auf dem Gut arbeiten und leben. Eine sehr lange Tafel im Speisesaal wird aufgestellt und für alle gedeckt. Es gibt auch Musik, aber keinen Tanz, weil der Gauleiter ein Tanzverbot ausgesprochen hat, obgleich eigentlich an drei Tagen in der Woche getanzt werden darf. Aber das ist mir ganz recht, ich tanze sowieso nicht gerne. Die eigentliche Hochzeit mit der Familie und den Freunden feiern wir am Freitag und Sonnabend.« Ihre Grübchen verschwanden, und sie sah ein bisschen traurig aus, als sie sagte: »Hoffentlich kommen auch alle.«
15. KAPITEL
I
ch kannte die angekündigte Speisekarte, und für mich bedeutete das Abendmahl die Segnung mit Schokopudding und Vanillesoße. Darauf gierte ich hin, denn Kakao gab es schon seit dem letzten oder vorletzten Jahr nicht mehr.
Meine Mutter hatte für
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