Die Maikaefer
einem Picknickkorb und einem Eimer wieder. Kurz darauf erschienen Tante Ulla im dicken Pelzmantel mit einer Pelzmütze auf dem Kopf, meine Mutter in einem silbernen Pelzmantel, auch mit Pelzmütze, und Dagi in Skihose, dickem Strickmäntelchen und einer Pudelmütze, mit der sie aussah wie der Nikolaus. Inzwischen hatte ich mich mit den Pferden unterhalten, hatte sie mit Schnee gefüttert und war auf den Bock gestiegen, um zu probieren, ob ich sie lenken könnte. Reese hievte den Picknickkorb hoch und rammte ihn mir dabei gegen die Beine. Ich schaute wild zu ihm herunter, aber er nahm das nicht wahr, weil er sich bückte, um den Eimer, in dem zwei Champagner-Flaschen standen, mit Schnee zu füllen. Danach hob er Dagi in die Kutsche, und strampelnd verschwand sie zwischen den beiden Pelzmänteln. Er zog die Plane an, die die Fahrgäste bis zur Hüfte schützen sollte und hakte sie auf seiner Seite am Schlitten fest. Sofort erklang das wilde Brüllen von Dagi, die ganz unter der Plane verschwunden war. Meine Mutter befreite sie, aber sie musste auf der Sitzbank stehen, wenn sie über die Plane hinwegschauen wollte.
Reese zog die Mütze. »Abfahrbereit, die Gnädigsten?«
»Ma los, Reese!«, donnerte Tante Ulla.
Mit einem Sprung war er bei mir oben, löste die Bremse, entriss mir die Zügel und knallte die Peitsche. Die Kutsche ruckte so heftig an, dass Dagi nach hinten kippte und wieder unter der Plane verschwand, unter der ihr Brüllen gedämpft hervordrang.
»Gib ihr einen Wodka, dann hört sie auf zu brüllen«, dröhnte Tante Ullas Stimme.
Ich schaute mich um und sah, wie sie eine kleine Flasche hochhielt, die sie aufschraubte, ohne ihre dicken Handschuhe auszuziehen. Da meine Mutter nicht darauf reagierte und Dagi keinen Wodka gemocht hätte, nahm sie selbst einen ordentlichen Schluck und schraubte die Flasche wieder zu. Dann stimmte sie ein Lied über den Winter an, meine Mutter fiel mit ein, die Glöckchen der Pferde bimmelten dazu, und so glitten wir durch die weiße Landschaft.
Ich dachte die ganze Zeit darüber nach, wie ich es schaffen könnte, dass sie mich auf einem der Pferde reiten ließen, aber das hätte ich erst einmal mit dem Kutscher klären müssen, und der ging auf keinen meiner Versuche ein, mit ihm eine Unterhaltung anzufangen. Schließlich begnügte ich mich damit, mir vorzustellen, dass er tot wäre und die Frauen in der Kutsche krank und es ganz von mir abhinge, ob wir heil nach Hause kämen. Auf diese Weise lenkte ich in meiner Fantasie die Kutsche.
Kurz vor dem Wald schaute ich mich noch einmal um. Endlos weiß lag die Landschaft da. Bis auf die bewaldete Ostflanke war das Gut von flachen Feldern umgeben. Im Weiß des Himmels und der Landschaft kreiste ein Schwarm Krähen, die sich auf einem der Felder niederließen. Die Frauen hatten aufgehört zu singen, und es war vollkommen still bis auf das Klingen der Glöckchen, Reeses Schnalzen, das Knallen der Peitsche, sein beruhigendes Zureden und Brrr, als wir einen kleinen Grabenbruch hinunter rutschten. Wieder auf sicherem Weg ging’s in den Wald und unter den Zweigen der Tannen hindurch, von denen es pulvrig auf uns herab rieselte.
Schließlich hielten wir vor einem Jagdhaus. Aus dem Schornstein stieg eine kerzengerade Rauchsäule ins Schneegrau des Himmels auf, und ich stellte mir vor, das Fachwerkhaus hinge an der Rauchsäule vom Himmel herab.
Vor dem Haus stand ein Schlitten mit einem kleinen, zotteligen Pferd, das ausgespannt war. Die beiden Küchenmädchen waren vorgefahren, um zu heizen. Reese schleppte den Eimer und den Picknickkorb ins Haus, wobei er beinah ausrutschte. Er achtete aber nicht auf sich, sondern hielt krampfhaft den Eimer mit dem Champagner und den Picknickkorb hoch. Tante Ulla hakte meine Mutter ein, lachte über Reeses Hampelei und rief: »Gut, dass er nicht über Wasser gehen muss!«
Reese grinste, als er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, und ließ uns vorgehen.
Im Haus war es warm und gemütlich. Wir zogen die Mäntel aus, und ich ließ mir von Tante Ulla die Geweihe an den Wänden erklären. Es waren auch Elche von Jagdeinladungen nach Ostpreußen dabei, und sie zeigte, welches Tier sie selbst erlegt hatte. Sie skizzierte die Umstände so knapp und sachlich, dass mir keine Zeit für Gefühle blieb. Vielleicht war Jagen schön, vielleicht aber hätte ich es auch herzlos gefunden, weil mir die Tiere so wehrlos erschienen wären. Wahrscheinlich das Letztere.
Es war ein Picknick mit allen
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