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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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Gefahr herausführen sollte, war mir klar, dass es besser wäre, wenn ich seine Zuneigung hätte. Aber wie sollte ich sie gewinnen? Er war etwa so alt wie mein Vater und hätte eigentlich an der Front sein müssen. Ich hatte instinktiv schon beschlossen, ihm immer zuzustimmen und nach jeder Regel, die er aufstellte, sagte ich deutlich »Ja«, nickte mit dem Kopf und setzte dabei einen Ausdruck der Bewunderung auf, als wäre das, was er gerade ausführte, der einzig geniale Schachzug, um den Krieg zu gewinnen. Daraus hätte er eigentlich den Schluss ziehen müssen, dass ich ein freundliches Kind guten Willens war, bereit, jede Bewegung auszuführen, die er wünschte. Aber er erkannte das nicht an, sondern machte nur eine wütende Bewegung in die Richtung, in die die Gruppe marschieren sollte. Ich war ihm eben im Wege, denn er wollte immer neben meiner Mutter herlaufen.
    Nicht nur das Mondlicht war eisig kalt, auch die Luft, die mir in die Zunge schnitt, wenn ich den Mund zu lange aufmachte. Skimütze ordnete an, dass wir gebückt gehen sollten, solange der Mond nicht verdeckt war. Was auch für mich gälte. Ich hatte damit keine Probleme, anders als die Leute mit den Koffern, die sie schnaufend alle paar Schritte absetzen mussten. Allein Dagi ging aufrecht. Meine Mutter hatte sie anfangs an die Hand nehmen wollen, aber sie machte ein Riesentheater und wollte unbedingt alleine gehen. Keiner verstand das, meine Mutter bestimmt auch nicht, aber wegen des dauernden »Psst« der anderen musste sie nachgeben. Leise zischte sie: »Dann bleib wenigstens immer neben mir!« Auch das tat Dagi nicht. Sie fiel zwar nicht zurück, aber marschierte abseits und für sich alleine. Wahrscheinlich hatte sie einen Schock bekommen, meinte meine Mutter später, aber ich nahm an, sie wollte einfach nicht in der Nähe von Skimütze sein.
    Mich kümmerte das nicht, ich lauschte nur auf das ferne Rollen der Panzer, weil das für mich neu war. Ich hatte noch nie einen Panzer gesehen, außer im Kriegsbuch meines Vaters, und noch nie dieses Geräusch mahlender Stahlketten gehört.
    Der russische Vorstoß kroch wie eine schwarze Raupe vor der brennenden Kulisse am Horizont entlang. Ich konnte nicht die Dörfer oder einzelne Häuser sehen, aber alle brannten. Vor dieser Glut bewegte sich die grollende Schlange der Panzer und dazwischen – wie bei der Flucht aus Stettin – Lastwagen voller Soldaten und leichte Flak.
    Auch wir trotteten unablässig voran, aufgehalten nur von den sich wiederholenden Befehlen unseres Führers, wenn er »Runter!« zischte und wir uns alle – er neben Mami! – in den Schnee warfen. Jedes Mal bumsten die Koffer auf den gefrorenen Acker. Jedes Mal erschrak ich, denn ich war mir nicht sicher, ob dieses Geräusch nicht über das eisige Feld wanderte und unsere Feinde alarmierte.
    Allmählich kamen wir der Chaussee näher, ich konnte Planwagen erkennen und ganz verschiedene Militärfahrzeuge, dazwischen auch Pferdeschlitten und Soldaten, die hinter den Panzern hergingen. Das Rasseln der russischen Kettenfahrzeuge war wegen des Windes sehr laut, geradezu beängstigend. Das Zählen der vielen Fahrzeuge war zwecklos. Scheinwerfer tasteten in den Himmel. Schnee fiel.
     
    Ich hatte nicht verstanden, warum Skimütze uns in Richtung auf den russischen Vorstoß führte, der unaufhaltsam auf der Chaussee gen Westen rollte. Wegen des Schweigegebots konnte ich nicht fragen, und so vertraute ich darauf, dass meine Mutter von ihm informiert worden war, warum das so richtig war. Als wir aber der Militärkolonne so nah kamen, dass der Lärm meine Worte fast übertönte, fragte ich sie doch.
    »Das sind keine Russen«, war ihre Antwort, »das sind deutsche Truppen auf dem Rückzug, und wir müssen jetzt sehen, dass wir auf einen der Lastwagen kommen, denn Dagi wird keinen langen Marsch mehr aushalten. Und sie tragen, das kann ich nicht, dazu ist sie zu schwer.«
    Wenig später gelang es ihr, Dagi auf einen Lastwagen zu reichen, aber für meine Mutter und mich war kein Platz, wir mussten nebenher laufen. Bei dieser Aktion verloren wir die anderen unserer Gruppe. Auch Skimütze war nicht mehr zu sehen. Das freute mich. Alleine waren unsere Chancen besser, denn ohne viel Gepäck kamen wir besser voran. Ich fragte meine Mutter, wie weit es noch nach Hause sei.
    »Das schaffen wir nicht zu Fuß.« Sie sagte das auch den Soldaten auf dem Lastwagen. »Ich schaffe das nicht mit den Kindern«, meinte sie zu jenen, mit denen sie sich während der

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