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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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wir liegen«, flüsterte meine Mutter. »Wenn einer in den Hühnerstall kommt – kein Mucks! Ganz still liegen!«
    Ich fühlte mich nicht nur dick und kugelrund, nachdem ich so viel gegessen hatte, sondern auch schläfrig. Obwohl in dem großen Stall nicht geheizt wurde, erzeugten die etwa dreihundert Hühner eine Wärme, die uns ausreichte, zumal wir uns in letzter Minute noch alles übereinander angezogen hatten. Ich schlief ein und träumte, dass ich vor irgendetwas weglief, aber nicht von der Stelle kam.
    Als meine Mutter mich weckte, war es immer noch dunkel und Nacht. Sie flüsterte mir zu, wir müssten jetzt aufstehen und ganz leise den Stall verlassen.
    Obwohl wir in einer lebensbedrohlichen Situation steckten, fühlte ich mich bleimüde, als ich mich aufrappelte und ihr auf Zehenspitzen zur Tür folgte. Die Hühner waren auch aufgewacht, gackerten und flatterten, als wäre ein Marder eingedrungen. Es war so laut, dass jeder auf dem Gut uns eigentlich hätte hören müssen.
    Der Himmel war stockfinster, als wir herauskamen, aber eine Scheune brannte, was genügend Licht spendete, dass ich die Silhouette meiner Mutter mit Dagi auf dem Arm sehen konnte. Erst jetzt wurde mir der Lärm eines aufheulenden Motors bewusst, das Brüllen von Befehlen, die Schreie von Frauen und das wiederholte Rattern von Maschinenpistolen. Meine Mutter deutete mit der freien Hand hinter die Ställe, wo es einen riesigen Johannisbeergarten gab. Er reichte bis an eine Fohlenweide, hinter der die Kornfelder begannen. Ich wusste sofort Bescheid, obgleich ich Zernikow nicht so gut kannte wie Drewitz. In dem Johannisbeergarten war ich gewesen, um beim Pflücken zu helfen. Johannisbeeren mit Milch und Zucker war eines meiner Lieblingsgerichte an heißen Sommerabenden.
    Um zu einer schmalen Gasse zu gelangen, die zwischen zwei Ställen hindurch führte, mussten wir einen kleinen Platz überqueren, auf den die flackernden Schatten der brennenden Scheune fielen. Meine Mutter wartete einen Moment, dann stieß sie mich an und wir rannten gebückt los. Mitten auf dem Platz stolperte ich über etwas und fiel hin. Beim Aufstehen fasste ich auf ein Gesicht und ein greller Schrecken flog durch all meine Nervenbahnen, weil ich meinte, wir wären nun entdeckt. Dann begriff ich, dass die zwei Menschen vor mir tot waren und ich über den ersten gefallen war und dem zweiten beim Abstützen ins Gesicht gefasst hatte. Panisch sprang ich auf, es knallten Schüsse und irgendwo grölte eine Stimme ein fremdländisches Lied.
     
    Ich erreichte meine Mutter im Schatten der Gasse, wo sie mit Dagi auf mich wartete. Wie ein Geist folgte ich ihren Anweisungen, schlich hinter ihr durch die Dunkelheit an den Ställen vorbei und blieb stehen, als wir das Gut verlassen hatten. Meine Mutter setzte auf einem Schneefeld Dagi ab. Offenbar war dies ein Treffpunkt, denn nach einer Weile kamen noch sieben Männer und drei Frauen. Einer der Männer mit einer Skimütze, dem ich auch gleich diesen Namen verpasste, kannte sich am besten aus und übernahm die Führung. Er zischte all seine Anweisungen, und mir war sofort klar, dass er alles, was er sagte, eigentlich zu meiner Mutter sagte, so zum Beispiel, alle sollten ihm folgen und sich sofort in den Schnee werfen, wenn er dafür ein Zeichen gäbe. Jemand zündete sich eine Zigarette an, und Skimütze fauchte los, was ihm einfalle. Das Streichholz erlosch, und die Glut der Zigarette verschwand, aber der Mann rauchte weiter, hielt nur die Hand davor. Wahrscheinlich rauchte er vor Angst. Skimütze äußerte sich nicht weiter dazu, weil eine große Wolke am Himmel den Mond freigab und genügend Licht plötzlich unsere Gruppe als schwarze Schatten auf dem weißen Schneefeld erkennbar machte. Unser Führer befahl uns, in die Hocke zu gehen, was jeder auch tat, nur Dagi und ich nicht. Wir beide hatten die Aufforderung nicht verstanden. Es machte eigentlich auch nichts, weil wir stehend nicht viel größer waren als die Männer in der Hocke, aber trotzdem raunzte Skimütze mich an, und ich spürte, dass er vor Wut kochte.
    Mit gepresster Stimme zählte er mehrere Regeln auf und bei jeder einzelnen betonte er eindringlich, dass sie auch für mich gälte. Im Grunde besagten sie alle das Gleiche, nämlich dass wir uns unauffällig bewegen sollten, aber ich äußerte mich nicht, weil ich mich wegen des verpassten Schokoladenpuddings, des toten Gesichtes und der hockenden Erwachsenen um mich herum zu unwohl fühlte. Da uns Skimütze aus der

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