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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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ihm da hinauf geholfen werden, und er musste damit einverstanden sein, dass er auf der anderen Seite hinunter fallen und sich verletzen könnte. Manche scheuten sich vor diesem Risiko, aber meine Mutter war entschlossen, die Chance zu nutzen. Der Kanonendonner war Nerven zermürbend, und sie fürchtete mehr als alles andere einen Treffer, der unser Leben auslöschen würde.
    Sie hatte es geschafft, uns bis unter die Luken zu schieben. Sie brüllte einen Soldaten an, er möge ihr helfen. Beide nahmen Dagi, steckten sie mit dem Kopf zuerst durch die Luke und gaben ihr einen Schubs. Dagi, das entging meiner scharfen Beobachtung nicht, war dabei nicht kooperativ, sondern schrie und strampelte herum.
    Der Nächste war ich. Ich war sehr kooperativ, machte mich ganz schlank, hielt die Arme hoch, und als ich in der Luke hing, streckte ich sie nach vorne, als würde ich einen Kopfsprung ins Wasser machen. Unter mir im Schnee krochen schon meine Vorgänger und Dagi herum. Ich merkte, wie jemand meine Beine packte und drückte, ich zog die Arme noch einmal ein und warf sie weit vor, so dass ich das Gleichgewicht verlor und stürzte. Ich war schon im Flug, als sich der Saum meines Mantels an einem rostigen Nagel verfing, es einen heftigen Ruck gab und ich gegen die Wand des Waggons bumste. Meine Mutter hatte uns in Zernikow alles angezogen, was noch passte, sodass wir ziemlich dick eingewickelt waren. Das linderte meinen Aufprall gegen die Waggonwand. Ich hing in der Luft, und meine Mutter schaute aus der Luke, weil sie die Nächste war. Sie bemerkte das Malheur, rief sehr laut »Zurück!« und verschwand wieder im Waggon. Jemand machte mit einem Messer einen Schnitt in meinen Mantel, und ich fiel in den Schnee.
    Meine Vorgänger waren inzwischen auf den Beinen und hatten Dagi beiseite genommen.
    Es waren zwei Frauen und drei Männer, die vor mir im Freien gewesen waren. Durch sie war der Schnee schon etwas festgeklopft, aber noch weich genug, sodass ich mir nicht wehgetan hatte. Ich schaute sofort hoch und sah, wie der Pelzmantel meiner Mutter durch die Luke geschoben wurde, dann folgte sie, und ich war beruhigt, als sie unversehrt neben mir stand.
    Beunruhigend hingegen war, dass der Geschützlärm vom Tackern einer Nähmaschine überlagert wurde, so wie ich es schon einmal in Stettin gehört hatte. Daher dachte ich im ersten Moment, auf den Zug würde ein Stuka heruntersausen. Es war aber nichts zu sehen, und auch das heulende Geräusch fehlte.
    »MG-Beschuss«, sagte der Soldat neben mir und lag auch schon flach. Auch die anderen hatten sich hingeworfen und die brüllende Dagi mit in den Schnee gedrückt. Meine Mutter kam flach auf ihrem Pelzmantel angerobbt und fragte mich, ob alles in Ordnung sei.
    Ich konnte sie verstehen, weil die Nähmaschine verstummt war und antwortete knapp, wie die Männer im Krieg es auch taten: »Alles in Ordnung!« Stolz erfüllte mich. Plötzlich Stille um uns her. Die Nähmaschine und die Geschütze hatten aufgehört, der Soldat brüllte: »Jetzt! Wir müssen das Gehöft erreichen!«, packte Dagi und schleppte sie mit sich. Wir anderen rannten hinter ihm her.
    Als wir weit genug von dem Zug entfernt waren, blieb er stehen und schaute sich um. Wir waren außer Atem und brauchten eine Pause. Auf der weißen Schneedecke zwischen uns und der Bahnstrecke waren gleichmäßig schwarze Tupfer verteilt, kleine Käfer, die alle in eine Richtung krochen – weg von den Gleisen.
    »Die meisten sind noch im Zug, so schnell kommen die nicht raus«, sagte der Soldat.
    Er hatte Recht, es fielen zwar Leute aus dem Zug, aber die meisten kamen nicht heraus.
    »Jetzt fehlt uns nur noch ’n Tiefflieger«, sagte der Soldat.
    »Um Gottes willen!« Zum ersten Mal sah ich meine Mutter erschrocken.
    »Das ist doch eine ihrer Hauptsportarten. Die Züge anfliegen und unter Feuer nehmen«, sagte der Soldat.
    Inzwischen hatte der Geschützlärm wieder eingesetzt, auch die Nähmaschine. Der Soldat nahm Dagis Arm und rief: »Los weiter!«
    Ich reagierte nicht gleich, weil kurz hintereinander zwei Waggons in die Luft flogen. Sie spritzten nach allen Seiten auseinander, und in den kurzen Detonationspausen hörten wir das Geschrei der Verletzten. Meine Mutter riss so kräftig an meinem Mantelkragen, dass ich hinfiel.
    »Was ist mit dir?!«, kreischte sie. Es brachte mich so schnell auf die Beine, dass ich im Nu den Soldaten mit Dagi überholte.
    Es war ein anstrengender Weg, und ich war der Meinung, wir arbeiteten uns eine

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