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Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
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warm, und als ich »Hunger!« rief, sagte sie, sie brauche nicht lange, um das Essen zu machen.
    In der Küche berichtete sie von den Veränderungen in der Stadt. Es kamen nicht mehr einzelne Trecks und Planwagen aus Ostpreußen, sondern ganz Ostpreußen war auf der Flucht. Unsere Stadt war durch eine endlose Karawane von Planwagen, Schubkarren, Autos, Handwagen, Rollstühlen, Fußgängern, Kühen, Schafen, Kindern und Hunden in der Mitte geteilt. Die Menschen und Tiere lebten Tag und Nacht in dieser Kolonne, mussten die Toiletten der Häuser benutzen, an denen sie vorbeikamen, dort auch Wasser erbitten und darum flehen, dass ihre Kranken wenigstens über Nacht aufgenommen würden. In unserer Abwesenheit hatte das Alexa stets organisiert. Am Tag unserer Ankunft nahmen wir keine auf, weil das Bauernpaar bei uns übernachtete.
    Alexa sagte strahlend, sie habe eine Überraschung für mich, aber ich solle erst mal dem Bauernpaar beim Ausspannen der Pferde helfen. Meine Freude auf Alexa war so groß, dass ich das vergessen hatte. Sie saßen vor dem Haus auf ihrem Wagen und warteten.
    Ich half dem Bauern mit den Pferden. Ich führte sie auf unseren Hof und in den Stall, wo die Gänse aufgeregt schnatterten, aber genügend Platz für die Gäule war. Der Bauer hatte Hafer dabei, und wir fütterten sie zusammen.
    Bevor wir nach oben gingen, wo Alexa das Essen für alle fertig hatte, klingelte ich noch bei Schattners und begrüßte Paul und seine beiden Schwestern, die sich freuten, dass wir zurückgekommen waren. Ich wollte auch Tante Doro guten Tag sagen, aber Paul meinte, ich sollte sie jetzt nicht stören. Sie war im Wohnzimmer und sang, von irgendjemand auf dem Klavier begleitet. Wir hatten es schon bei unserer Ankunft im Treppenhaus gehört, und meine Mutter hatte im Vorbeigehen »Winterreise« gewispert. Paul sagte, er habe meine Kaninchen nach Plan gefüttert, genau wie ich es ihm aufgetragen hatte, und dass sie alle wohlauf wären. Das wusste ich schon, denn ich hatte gleich nachgeschaut, weil ich Paul beim Umgang mit Tieren noch nicht ganz traute. Ich bedankte mich bei ihm, und wir standen ein bisschen herum, keiner wusste so recht, was er sagen sollte, vielleicht auch weil das Singen so laut war. Schließlich lief er in die Küche und kam mit einer Tafel Schokolade zurück. »Hier«, sagte er und hielt sie mir hin.
    »Oh, danke! Wofür ist die?«
    »Meine Mutter hat dir doch eine Tafel versprochen, wenn du mir alles über Landwirtschaft beibringst.«
    »Es hat dich ja gar nicht interessiert.«
    »Aber ich habe trotzdem behalten, was du gesagt hast und mir Mühe gegeben und meiner Mutter das alles weiter erzählt.« Er lächelte mich nett an, aber es war nicht wirklich nett. Spöttisch, würde ich heute sagen, und wieder hatte ich den Eindruck, dass seine Lippen mit einem Rotstift angemalt waren.
    Ich nahm die Tafel und bedankte mich bei ihm, indem ich ihm die Hand schüttelte und dabei die Muskeln kräftig anspannte, wie es damals üblich war. Dann lief ich freudestrahlend nach oben, um Alexa zu zeigen, welch köstlichen Nachtisch ich für uns herbeigezaubert hatte.
    Sie nahm die Tafel und roch daran. Wie die Hexe bei Hänsel und Gretel rief sie genüsslich »Ah«, riss die Verpackung auf, roch noch einmal daran und lachte über das ganze Gesicht. Sie brach sie in einzelne Stücke, die sie auf die Dessertteller legte.
    »Fehlt Vanillesoße«, sagte ich.
    »Haben wir nicht. Aber Schlagsahne können wir machen.«
    »Wie denn?«
    »Das ist kein Problem. Du brauchst nur zur Hauptstraße zu laufen und ein paar Kühe zu melken, dann kannst du sie dir selbst herstellen.«
    »Melken sie sie nicht selber?«, fragte ich erstaunt.
    Sie zuckte die Achseln. »Ich weiß nicht warum, aber viele stehen da mit prallen Eutern. Vielleicht sind die Leute zu alt oder krank. Morgen kannst du hingehen und selbst nachschauen.«
    »Warum nicht heute?«
    »Heute habe ich erst mal eine Überraschung für dich.« Sie legte ihre Hände auf meine Schultern, ging in die Hocke, sah mir in die Augen und sagte, sie wolle sie mir eigentlich erst nach dem Essen zeigen. Dann lächelte sie geheimnisvoll, nahm mich bei der Hand und führte mich in ihr Zimmer. Dort lag vor ihrem Bett ein großer Schäferhund, der den Kopf hob und mich anknurrte. Ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Sie rief »Rex!«, der Hund sprang auf, und ich wich ein Stück zurück. Er ließ sich von ihr streicheln und tätscheln, während sie mir die Geschichte von dem alten Mann

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