Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Maikaefer

Die Maikaefer

Titel: Die Maikaefer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Burkhard Driest
Vom Netzwerk:
geraten. Das war nicht verwunderlich, denn Elfi, Kathrin und Ruthchen waren die Hübschesten auf dem Gut. Ich hörte, wie die Stimmen lauter wurden, und im nächsten Moment stand Elfi wieder neben mir. Als der Scheinwerfer sie suchte, kniete sie nieder, legte ihre Arme um mich und zog mich ganz eng an sich, sodass ich ihre Wärme an meinem Rücken spürte. Ich sah die Lampe heran kommen, bis der Russe vor uns stand und in holprigem Deutsch sagte: »In einer Stunde geht die Front weiter – alle raus!« Es war der Offizier, der dem anderen Elfi wegnehmen wollte.
    Obwohl ich eigentlich zu schwer für sie war, nahm sie mich auf den Arm und quetschte sich in die Mitte der Hinausdrängenden. Dabei versuchte sie, ihr Gesicht an meinem Hals zu verbergen, damit keiner sie wieder erkennen konnte, aber die Soldaten an der Tür leuchteten alle an. Einer von ihnen entdeckte sie und hielt mich am Arm fest, sodass sie stehen bleiben musste. Ich versuchte mich loszureißen, damit sie weitergehen konnte, aber er riss so fest an mir, dass ich zur Erde fiel. Er stieg über mich hinweg, um Elfi zu packen, aber ich griff blitzschnell nach ihrer Hand und zog sie nach unten. Dadurch stolperte er, und als er sich gefangen hatte, hob er seinen Karabiner und haute das Schulterstück auf mein Handgelenk. Er grinste mich an, indem er etwas auf Russisch zu mir sagte, und wandte sich an Elfi. Sie wich vor ihm zurück. Er folgte ihr in die Scheune, unablässig Russisch redend. Sie sah den Strohballen nicht, der hinter ihr an der Scheunenwand lag, fiel rücklings darauf, und er hatte sie.
    Ich sah zum ersten Mal, was sie mit den Mädchen machten. Das, was man Elfis Mutter angetan hatte, war für mich in der allgemeinen Gewalt und Hast untergegangen, nun aber vollzog es sich leise und langsam. Ich konnte nicht wahrnehmen, ob Elfi sich noch wehrte, und konnte auch nicht beurteilen, wie schlimm es für sie war. Der Russe brüllte sie nicht an und schlug sie nicht. Er röchelte, flüsterte und stöhnte immerzu etwas auf Russisch, er lag auf ihr, hatte sie im Arm und bewegte sich hin und her. Es war anders, als wenn die Tiere sich paarten, es war anders, aber ich begriff, dass es irgendwie doch das Gleiche war. Mir fiel ein, wie der Administrator, der nicht wollte, dass Hasso eine Hündin besprang, einen Knüppel genommen und dem verrückten Hund eins übergebraten hatte.
    Ich hatte keinen Knüppel, aber dennoch schlich ich mich näher. Ich war sehr neugierig, was genau da passierte und wollte Elfis Gesicht sehen, um zu erfahren, wie sehr sie litt. Das letzte Stück huschte ich auf die Beiden zu, kam unbemerkt gefährlich nahe, stieß aber dann mit dem Fuß versehentlich gegen den Karabiner, der am Strohballen lehnte. Das Gewehr hatte ein aufgesetztes Bajonett, das gegen das Bein des Russen fiel. Er sprang so jäh auf, dass ihm die Lampe auf der anderen Seite des Strohs herunterfiel. Dadurch war es dunkel, und ich konnte schnell entwischen. Als ich mich noch einmal umsah, kam Elfi angehuscht, während der Betrunkene fluchend vor dem Stroh herumkroch und sein Gewehr suchte. »Stoi!«, schrie er so laut, dass mir der Schrecken in die Glieder fuhr.
    »Nicht stehen bleiben!«, zischte Elfi, nahm meine Hand und zog mich in Windeseile davon. Sie kannte den Hof, mit schnellen Schritten hatten wir den Unterstand für die Kutschen erreicht und verschwanden in einem geschlossenen Wagen, dessen Vorderachse gebrochen war. Es war die Kutsche, von der aus Paul auf die Schwalben geschossen hatte. Wir krochen unter die gepolsterten Bänke und hörten für eine halbe Stunde nur unseren langsam abflauenden Atem, die Rufe und Schüsse auf dem Hof.
    Nachdem wir uns beruhigt hatten, begann Elfi, ein langes Gebet für ihre Mutter zu sprechen. Das meiste konnte ich nicht verstehen, vieles wurde von ihrem Schluchzen verschluckt, und irgendwann bemerkte ich, dass sie alles wiederholte und immer von neuem anfing. Sie weinte, und ich versuchte, sie zu beruhigen, streichelte ihre Arme, ihren Hals und ihr Haar, zog auch an ihrer Nase, wie es Tante Kläre mit mir machte, wenn ich »aus dem Häuschen war«, wie sie es nannte und zu mir zurückfinden sollte. Aber all das half nicht. Dazwischen hauchte sie »meine Mama, meine Mama, meine Mama«, was mich an meine Mutter erinnerte. Ich wollte nun unbedingt wissen, ob Dagi sie gefunden und meine Bestellung ausgerichtet hatte. Ich musste zurück ins Gutshaus und versuchte, es Elfi zu sagen, aber sie ließ mich mit ihrem Wispern und

Weitere Kostenlose Bücher