Die Maikaefer
und wollte wissen, was im Eimer war. Als er das Wasser sah, grinste er, streichelte über mein Haar und schob mich weiter.
Dagi lag noch im Bett. Sie weinte. Am Bettrand saß Hotte und versuchte, sie zu beruhigen. »Ein paar sind schon tot«, sagte er.
»Wer?« Ich schöpfte mit einer Tasse Wasser aus dem Eimer. »Nicht weinen!«, sagte ich zu Dagi, gab ihr zu trinken, zog sie dann aus dem Bett und zerrte sie zur Tür hinaus. Dort erklärte ich ihr: »Du bleibst hier stehen, und wenn jemand kommt, machst du schnell die Tür auf und rufst, wo ist Mutti, dann rufe ich, die ist nicht da, und dann hältst du dich an der Tür fest und weinst, damit keiner so schnell hereinkommen kann.« Ich hatte ihr das bereits vorher erklärt und hoffte, dass sie es nun richtig machen würde.
Wieder im Zimmer, zog ich die Tür hinter mir zu, aber sie machte sie gleich wieder auf und schaute mich borstig mit ihrem tränenverschmierten Gesicht an. »Ich will hier draußen nicht alleine sein«, sagte sie.
Ich hielt die Tür fest und flüsterte ihr durch den Spalt zu: »Du musst! Sonst verdurstet Mami!« Dann zog ich die Tür wieder zu, und diesmal klappte es.
Mir war wohl bewusst, dass Hotte nun in das Geheimnis eingeweiht war. Als ich mich umdrehte, sah ich, wie er das ganze Zimmer mit seinen Augen absuchte, wo unsere Mutter wohl stecken könnte. »Das darf niemand wissen«, sagte ich zu ihm und hoffte, dass er nichts verraten würde. Er schwor hoch und heilig, den Mund zu halten.
Ich zog einen Stuhl vor den Schrank, schöpfte eine Tasse mit Wasser, stieg auf den Stuhl und hielt sie ihr hin. Ihre Hand erschien und die Tasse verschwand. Nach einer Weile kam die Tasse wieder hervor.
»Möchtest du noch mehr?«
»Noch eine Tasse.«
Schnell sprang ich herunter, goss wieder voll, stieg auf den Stuhl und hielt sie hoch. In diesem Moment ging die Tür auf. Wie elektrisiert sprang ich vom Stuhl und zerrte ihn schnell vom Schrank zum Tisch. Ängstlich drehte ich mich zur Tür um. Dort stand Dagi und schaute blöd.
»Was ist?«
Sie sagte nichts und machte die Tür wieder zu. Hotte grinste.
Es machte mich immer wütend, wie dumm sie war, aber jetzt hatte ich keine Zeit für solche Gedanken, ich musste den Stuhl wieder zum Schrank schieben, schnell hinaufsteigen und die Tasse nehmen, die meine Mutter schon über die Kante hielt. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie Hotte sich vor die Tür stellte, damit Dagi nicht noch einmal hereinkommen konnte.
Das beruhigte mich, aber als im Hof eine Maschinenpistole abgefeuert wurde, durchführ mich ein ziemlicher Schrecken. Jemand brüllte etwas. Ich stellte den Stuhl schnell ordentlich an den Tisch und rannte zum Fenster. Auf dem Vorplatz an der Fontäne standen Russen, die in die Luft geballert hatten und nun wollten, dass alle aus den Häusern und Ställen herauskämen.
Ich holte Dagi wieder herein, befahl ihr, sich ins Bett zu legen und dort zu bleiben und niemandem etwas von meiner Mutter zu sagen. »Ich gehe raus und sehe nach, was draußen los ist«, sagte ich so laut, dass meine Mutter auf dem Schrank es hören konnte.
Hotte kam mit, und als wir aus der Haustür traten, waren alle schon versammelt. Dicht gedrängt standen sie an der Parkmauer, umzingelt von Russen mit Gewehren im Arm.
Ein dicker Offizier – Schirmmütze im Nacken, Schnapsflasche in der Linken, Pistole in der Rechten – ging vor den Deutschen auf und ab, fuchtelte mit den Armen umher und zeigte dabei auf einen der Männer, der hervortreten sollte. Es war Georg Bisanz, der Gehilfe aus der Stellmacherei. Er war ein ruhiger, freundlicher älterer Mann, der einmal versucht hatte, mir das Schnitzen beizubringen. Ich mochte ihn.
Ich wusste nicht, was mit ihm passieren sollte und stellte mich zu den Russen, von wo aus ich am besten sehen konnte, wen der betrunkene Offizier von meinen Freunden auswählte. Der vierschrötige Offizier erinnerte mich an Rübezahl aus meinem Bilderbuch. Nun zeigte er auf Heinrich Swistek, der älter als Georg Bisanz war und auch in der Stellmacherei arbeitete. Ich dachte, Rübezahl wollte denen irgendeinen Stellmacherauftrag geben, aber als Nächsten ließ er den Traktorfahrer Richard Wittek vortreten, der im letzten Sommer bei der Ernte den Steuermann Oswald Mildbradt ersetzt hatte, weil der an die Front musste. Ich schaute zu Bruni, für die Richard Wittek wie ein neuer Vater war und dessen freundlicher Geduld sie es verdankte, dass sie fast eine Imkerin geworden war. Sie konnte nicht verbergen, wie
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