Die Maikaefer
aufgeregt sie war. Sie redete auf ihren Bruder ein, den sie dauernd anstieß und zupfte, bis er aufbrauste.
Frauen, Kinder und sehr alte Männer interessierten Rübezahl wohl nicht, und ehe ich den Gedanken zu Ende denken konnte, stieß mich der Russe neben mir an, hielt mir seinen Becher unter die Nase und sagte lachend etwas, das wohl heißen sollte: »Trink!« Der Becher war voll mit Schnaps. Ich schüttelte den Kopf, worauf er noch mehr lachte, mir seine Waffe an die Schläfe hielt und brüllte: »Nastrovje!«
Ich schluckte schon, bevor ich trank, riss mich dann aber zusammen, grinste ihn ebenso an wie er mich, nahm einen ordentlichen Schluck, verschluckte mich und hustete alles auf seine Stiefel. Die waren in einem saumäßigen Zustand, und der blödsinnige Gedanke kam mir, dass Iwan sicher abends nicht seine Stiefel putzte und schon gar nicht den Steg, wie es mein Vater immer von mir verlangt hatte. Mir wurde schwindlig, vielleicht weil Schnaps in meine Speiseröhre gelangt war, und ich kniff mir die Nase zu.
Inzwischen hatte Rübezahl alle Männer herausgesucht, die er haben wollte. Er gab ein russisches Kommando und drei Soldaten tasteten sie nach Waffen ab. Als der Administrator an der Reihe war, entdeckten sie bei ihm eine Pistole. Rübezahl machte ein ziemliches Theater wegen der Pistole und ließ ihn abführen. Unter den beiden Eichen, die den Eingang zum Obstgarten markierten, musste er stehen bleiben und wurde dort von zwei Soldaten bewacht.
Nach dieser Aktion ließ Rübezahl die ausgesuchten Männer unter der Aufsicht von sechs Russen abmarschieren, was meine Mutter später »Verschleppung« nannte. Es waren Georg Bisanz, Richard Wittek, der vierte Gespannführer Erich Meinhard, der Kutscher Otto Grohmann, der Maurer Emil Zöller, der Chef im Schweinestall Franz Busse, der Pferdeknecht Wilhelm Bretschneider und Emil Riemer, der Chef bei den Kühen, der wegen einer Kriegsverletzung Fronturlaub hatte. Dies waren die, die ich kannte, aber es kamen noch die Männer aus Ostpreußen hinzu. »Keinen werden wir wieder sehen«, sagte meine Mutter später.
Alle, die übrig geblieben waren, wurden nun die Kastanienallee hinunter getrieben und ins Backhaus gesperrt. Ich hatte mich dazu gesellen wollen, aber mein Russe hielt mich fest und hockte sich vor mich hin.
»Du Wodka«, sagte er grinsend, »du, guter Mann!« Er hielt mir den vollen Becher unter die Nase.
Er war unrasiert und stank trotz der Kälte nach Schweiß und Schnaps. Rechts vorne fehlte ihm ein Zahn, was ihn ungefährlicher erscheinen ließ als zu Anfang.
»Das ist kein Wodka«, sagte ich, denn ich wusste von den russischen Kriegsgefangenen, dass Wodka nicht roch. Riecht wie Wasser, hatten sie immer gesagt.
»Ah … ah …«, er gab sein breitestes Grinsen zum Besten und tippte mit dem Finger an die Stirn, was wohl heißen sollte, dass ich verdammt schlau war. »Ich Iwan.« Er hielt mir den Becher mit dem Schnaps an den Mund, aber ich presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Nix gutt«, sagte ich und zog ihm eine freche Schnute. Ich hatte keine Angst vor ihm, hatte überhaupt keine Angst vor den Russen, weil die russischen Kriegsgefangenen mir gezeigt hatten, dass sie Kinder mochten.
Er befahl mir, stehen zu bleiben, und verschwand.
Nun war ich alleine und sorgte mich um meine Mutter. Bis auf die Männer, die abgeführt worden waren, befanden sich alle im Backhaus. Vielleicht sperrten sie sie dort ein, weil sie das Herrenhaus in Ruhe ausplündern wollten. Dabei würden sie natürlich in jedes Zimmer gehen, vielleicht auch in unseres, und womöglich den Schrank umwerfen. Wenn ja, wäre Dagi imstande, sie daran zu hindern? Sie war noch so ein kleines Kind, und kleine Kinder glaubten jedem. Sie konnten einfach Lüge nicht von Wahrheit unterscheiden. Für sie waren es Menschen, die uns helfen wollten, auch wenn es nur eine Behauptung war.
Erst jetzt bemerkte ich, dass der Administrator immer noch am Eingang des Obstgartens bewacht wurde und entdeckte dort auch Iwan, der mit den beiden Bewachern verhandelte und eine Flasche entgegen nahm.
In diesem Moment erschien Eule in der Eingangstür des Herrenhauses. Ich lief zu ihm, vielleicht konnte er mir sagen, was drinnen los war.
»Wo ist deine Mutter?«, fragte ich ihn, denn ich hatte Elsbeth unter all den Menschen hier auf dem Hof nicht gesehen.
»Komm mit«, sagt er, »aber das darf niemand wissen.«
Sofort kam mir der Gedanke, dass Eule und seine Mutter ein besseres Versteck
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