Die Makler-Mafia
bei der Beerdigung angezogen hatte. Durch
den Regen klitschnass hing es wie ein triefender Lappen an ihrem Körper.
Mit weit aufgerissenen Augen
stolperte Rosalinde Sauerlich einige Meter rückwärts. Sie wollte schreien, doch
aus ihrem Mund kam nur ein Krächzen. Ungelenk und ruckartig wie ein Zombie
wankte Isolde Mischok-Knechtmann auf sie zu. Sie kam immer näher! Es waren nur
noch ein paar Schritte. Sie streckte den Arm nach Rosalinde Sauerlich aus und
verzerrte ihren Mund zu einem clownartigen Grinsen. Eine Schrecksekunde lang
blieb Oma Sauerlich wie angewurzelt stehen, doch dann drehte sie sich um und
rannte los. So schnell, wie man ihr das nur als junge Frau zugetraut hätte. Sie
stolperte über Gräber, fiel dabei beinahe hin, fing sich aber wieder und
hastete weiter.
Völlig außer Atem gelangte sie
schließlich zum Eingangstor. Doch das war abgeschlossen! War es schon so spät?
Hatte sie die Öffnungszeiten überschritten? Stand da nicht: Geöffnet bis 20
Uhr!? Nein, das war nicht möglich. Panisch rüttelte sie an der Pforte.
Vergebens. Sie ließ sich nicht bewegen. »Hallo! Hilfe! Ist da wer?«, rief sie
durch die Gitterstäbe nach draußen. Aber der Nebel, der sich in der
Zwischenzeit gebildet hatte und eine einzige undurchdringliche Suppe war,
verschluckte ihre Schreie. Jetzt war sie gefangen! Eingesperrt auf dem
Friedhof! Hektisch schaute sie sich um. Wo konnte sie sich verstecken?
Schemenhaft konnte sie den Umriss einer Person erkennen, die hinter einem Grab
hervorkroch und langsam auf sie zukam. War das Isolde? Nein, diese Person war
größer! Es war ein Mann.
»Gott sei Dank«, sagte
Rosalinde erleichtert. »Ich bin nicht alleine hier auf dem Friedhof!« Schnellen
Schrittes lief sie ihm entgegen. »Wissen Sie, wie wir hier herauskommen? Das
Tor ist schon zugesperrt!« Seltsamerweise antwortete der Mann nicht. Hatte er
sie nicht verstanden? Rosalinde Sauerlich machte abrupt stopp. Ein seltsames
Gefühl beschlich sie.
Der Unbekannte war jetzt nur
noch wenige Meter entfernt. Noch konnte sie ihn nicht erkennen, doch als er aus
dem Dunst heraustrat, blieb ihr Herz für einen kurzen Moment stehen. Es war
Erwin! Ihr verstorbener Mann! In ihrem Kopf drehte sich alles. Ein alb
traumhafter Strudel zog sie in die Tiefe. Sie war kurz davor, ohnmächtig zu
werden. Sie wankte hin und her wie auf einem schwankenden Schiff. An einem
Grabstein fand sie Halt und stütze sich kurz ab. Eine bleierne Müdigkeit übermannte
sie. Eigentlich wollte sie aufgeben. Einfach umfallen und nie mehr aufwachen.
Aber eine innere Kraft trieb sie an, ihre letzten Kraftreserven zu aktivieren.
Fieberhaft dachte sie nach. Sie erinnerte sich an ein kleines, verstecktes Tor,
das sie vor Jahren einmal entdeckt hatte und das nach draußen in einen
angrenzenden Wald führte.
Obwohl es ihr schwerfiel, sich
auf den Beinen zu halten, stakste sie davon, hinein in den Nebel, der sie
verschluckte. Sie sah kaum noch etwas, konnte sich aber an Bäumen und einem
alten, prunkvollen Mausoleum (großes Grabmal) einer Adelsfamilie orientieren
und fand schließlich an ihr Ziel. Das kleine steinerne Tor war zugewachsen.
Rosalinde Sauerlich musste erst Zweige und Blattwerk entfernen, damit sie
durchschlüpfen konnte. Dann rannte sie in den dunklen Wald hinein, ohne sich
auch nur ein einziges Mal umzudrehen.
21. Weißes
Blut
TKKG warteten zu Hause auf Oma
Sauerlich. Klößchen schaute besorgt auf die große Standuhr, die zehn Minuten
nach neun anzeigte. »Normalerweise ist Oma immer pünktlich zum Abendessen
zurück. Auf sie kann man sich verlassen wie auf ein Schweizer Uhrwerk.«
Gaby nahm Klößchen in den Arm.
»Vielleicht hat sie sich irgendwo verquatscht«, versuchte sie ihn zu beruhigen.
Oskar schaute traurig drein. Er spürte, dass die Stimmung nicht gut war.
»Und wenn ihr etwas Furchtbares
widerfahren ist? So wie ihren Freundinnen?«
Tim ballte die Hände zu
Fäusten. »Dann kriegt dieser von Magog eine Mordsabreibung.«
»Aber wir wissen doch noch gar
nicht, ob er mit der Sache was zu tun hat«, meinte Gaby.
»Stimmt auch wieder.« Tim
beruhigte sich wieder. »Aber alle Anzeichen deuten darauf hin, dass er Dreck am
Stecken hat. Wer beschäftigt sich sonst mit solchem Teufelszeug?«
»Ich finde, du bist da etwas zu
voreilig«, widersprach ihm Karl. »Interesse für Satanismus und der Besitz eines
wertvollen mittelalterlichen Buches beweisen noch lange nicht, dass er selbst
ein Teufel ist.«
»Gut, gut.« Tim gab sich
einsichtig.
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