Die Makler-Mafia
nervös.
Heute war ein besonders nasser
und finsterer Tag. Dicke Tropfen fielen zur Erde und platschten auf den
schwarzen Regenschirm, unter dem sich Rosalinde Sauerlich schutzsuchend
verkrochen hatte. Sie hielt ihn dicht gegen ihr Gesicht, um dem Wind, der ihr
entgegenblies, nicht die Gelegenheit zu geben, ihn aufzubauschen und
wegzureißen. So stapfte sie durch den Matsch, in dem sie ab und zu versank, zur
letzten Ruhestätte ihrer Freundin. Sie war die Einzige, die dazu noch in der
Lage war. Kiki traute sich seit dem Spuk in ihrem Haus nicht mehr hinaus und
Elsbeths psychischer Zustand hatte sich noch immer nicht verbessert. So lag es
an ihr, der Toten einen Besuch abzustatten.
Das Grab ihres Mannes lag auf
dem Weg etwas versteckt hinter einer alten Eiche. Sie verließ den breiteren
Hauptweg, um dort hinzugelangen. Sie wollte dort kurz innehalten, um zu beten,
doch als sie um die Ecke bog, bemerkte sie mit Entsetzen, dass der Grabstein
umgeworfen war.
Wer oder was hatte so etwas getan?,
überlegte Oma Sauerlich. Der Wind sicherlich nicht, dafür hätte es Orkanstärke
gebraucht. »Ich werde das morgen der Friedhofsverwaltung melden«, sagte sie zu
sich selbst.
Sie schaute sich um. Der Regen
bildete einen Schleier aus Wasser, der alles verschwommen und schemenhaft
wirken ließ. Der Friedhof war fast menschenleer. Sie entdeckte eine einzelne
dunkel gekleidete Frau mit Kopftuch und durchsichtigem Regencape, die etwas
entfernt Blumen auf ein Grab legte. Die Kieselsteine knarzten laut unter ihren
Gummistiefeln, als sie resolut weitermarschierte und nach einer Weile
schließlich zur Friedhofsmauer gelangte, wo sich die Gräber erst kürzlich
Verstorbener befanden. Dort lag auch Isolde. Das sollte zumindest so sein.
Rosalinde Sauerlich erinnerte
sich mit Schaudern an die Beerdigung zurück, bei der ihr die Sinne einen
schrecklichen Streich gespielt hatten. Auch jetzt noch schlotterten ihr die
Beine, wenn sie zu den drei großen Eichen hinüberschaute, deren Äste sich im
Wind wiegten und wo sie damals geglaubt hatte, die tote Isolde gesehen zu
haben. Rosalinde stellte sich an das schön geschmückte Grab ihrer Freundin und
legte vorsichtig einen Strauß Blumen auf die nasse Erde. Die Trauer überfiel
sie mit voller Wucht, je länger sie darauf starrte. Leise begann sie zu weinen.
Warum nur waren sie in diesen Albtraum geraten?
Ihre Gedanken wurden jäh
unterbrochen, als sich die Erde auf dem Grab plötzlich bewegte und ein wenig
nach unten sackte. Verwundert rieb sie sich die Tränen aus dem Gesicht. Eine
schreckliche Angst stieg in ihr hoch. So wie damals. Aber es gab keine
Gelegenheit mehr, weiter darüber nachzudenken, denn die gesamte Erde rutschte
mit einem Schlag nach unten, riss alle Blumen und Pflanzen mit sich in die
Tiefe und hinterließ ein gähnendes schwarzes Loch.
Rosalinde schrie entsetzt auf.
Sie taumelte, kippte um und landete hart auf dem Boden. Der Regenschirm fiel
ihr aus der Hand und wurde vom Wind fortgeweht. Rosalinde Sauerlich versuchte,
sich hochzustemmen, rutschte dabei aber im Matsch aus und fiel wieder hin.
Schließlich gelang es ihr, wieder auf die Beine zu kommen. Ihre Kleidung
triefte vor Schmutz und Nässe.
Auf einmal hörte sie hinter
sich eine Stimme, die durch das Pfeifen des Windes dumpf und abgehackt klang.
»Rosalinde! Schön dich wiederzusehen!«
Diesen Klang kannte sie! Auch
wenn es nur ein Flüstern war. Ihr Herz begann wie wild zu pochen, aber nicht
weil sie sich freute, sondern weil eine grausame Furcht sie überkam. Nicht
umdrehen! Ja nicht umdrehen! Regungslos stand sie da. »Das ist alles nur
Einbildung, das ist alles nur in deinem Kopf! Gleich ist es vorbei!«, redete
sie sich ein. Obwohl es nur Sekunden waren, erschien es ihr wie eine kleine
Ewigkeit, bis sie wieder in der Wirklichkeit angekommen war und realisierte,
dass das alles keine Sinnestäuschung war, denn sie spürte den warmen Atem der
unbekannten Person ganz dicht an ihrem Ohr.
»Rosalinde, ich bin wieder
da!«, hauchte die Stimme. Oma Sauerlich zitterte wie Espenlaub. Langsam drehte
sie sich um. Das Schicksal meinte es gut mit ihr, dass sie bei dem, was sie
sah, keinen Herzinfarkt erlitt. Direkt vor ihr stand Isolde Mischok-Knechtmann!
Sie sah grässlich aus. Ihr Gesicht war aufgedunsen und das Weiß der Augen
blutrot unterlaufen. Ihr langes weißes Haar, das sie zu Lebzeiten zu einem Dutt
hochgesteckt hatte, hing nass und schlaff an den Seiten herunter. Sie trug das
weiße Kleid, das der Bestatter ihr
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