Die Malerin von Fontainebleau
ihnen ein Dorn im Auge.«
Élie meldete sich wieder zu Wort. »Bei dir als barbe haben sicher Zusammenkünfte stattgefunden. Grund genug, dich zu verjagen.«
»Der Priester hat mich gehasst, weil ich eine Frau habe. Das Zölibat ist eine Geißel der katholischen Kirche, die sich gegen ihre eigenen Prediger richtet. Wer nicht die Gabe der Enthaltsamkeit hat, ist zur Ehe verpflichtet. So steht es bei Mose, dass es für den Menschen nicht gut sei, allein zu sein, Timotheus schreibt das und auch Paulus im siebten Kapitel des ersten Korintherbriefs.«
»Ehelosigkeit zu befehlen ist Teufelsdoktrin, heißt es in der Resolution von Chanforan «, ergänzte Aleyd.
»Wir sagen und tun nichts, was nicht in den Evangelien steht, und trotzdem sind wir die Ketzer!« Élie betastete seinen Kopf. »Es ist schon richtig, dass wir uns den Protestanten anschließen. Sie sind zahlenmäßig zu stark, als dass sie auf immer als Ketzer verdammt werden können.«
»Unsere Identität unter dem Druck brutaler Gewalt aufgeben? Niemals!«, rief Jules von der anderen Seite des Raumes.
Sidrac wusch sich die Hände und warf Jules einen nachdenklichen Blick zu. »Vielleicht ist es besser, eine Weile stillzuhalten. Das bedeutet nicht, dass wir unserem Glauben untreu
werden, sondern nur, dass wir unser Leben schützen, um zu gegebener Zeit wieder öffentlich zu werden.«
Aleyd dachte an ihr ungeborenes Kind, und zum ersten Mal stellte sie die unversöhnliche Haltung ihres Bruders in Frage. »Sieh dir Élie und Jacob an, Jules. Würdest du so reden, wenn man mich oder deine Frau getötet hätte?«
Jules’ Blick blieb hart. »Ja, das würde ich. Hast du vergessen, dass unser Vater für unseren Glauben gestorben ist? Er hat nicht abgeschworen, obwohl er genau wusste, was ihm bevorstand.«
»Ja, das ist richtig«, sagte Aleyd leise und räumte die Arzneien an ihren Platz zurück.
Armido führte sein Pferd am Zügel. Die Wege im Hochgebirge forderten die ganze Aufmerksamkeit von Mann und Tier, und mit solchen Schneemassen hatte Armido nicht gerechnet. Nachdem sein Weg ihn von Vizille über Corps nach Gap geführt hatte, hatte er gestern in Chorges genächtigt. Heute Morgen hatte sich sein Pferd im Geröll eines Abhangs einen Stein eingetreten. Seitdem humpelte es, und Armido wollte das Tier, das ihn während der letzten zwanzig Tage nicht im Stich gelassen hatte, nicht unnötig belasten. Deshalb legte er die noch verbleibende Wegstrecke zu Fuß zurück. Der Wirt des Gasthauses in Chorges hatte ihm empfohlen, dem Fluss zu folgen, auf den er vor wenigen Minuten gestoßen war. An dieser Stelle war das Flussbett breit und die Strömung reißend. An den Ufern jedoch lagen noch Eisschollen, und der Weg war von hart getretenem Schnee bedeckt. Trotz der Handschuhe waren seine Hände taub von der Kälte, und auch seine Füße vermochte er in den durchweichten Stiefeln kaum mehr zu spüren Er wusste noch nicht einmal genau, wo in Embrun er Aleyd und Jules finden konnte. Vielleicht waren sie auch nicht mehr dort.
Verbissen setzte er seinen Weg fort und kam am späten Nachmittag vor den Stadttoren Embruns an. Er führte ein Schreiben bei sich, das ihn als Künstler des Königs auswies, eine Art Pass, der ihm bereits auf der Reise von Italien nach Frankreich Tore und Grenzstationen geöffnet hatte. Der Stadtknecht musterte ihn dennoch argwöhnisch.
»Was wollt Ihr hier?«
»Was geht’s Euch an?«
Der kräftige Stadtknecht stellte seinen Spieß so, dass er Armido den Durchgang versperrte. Da das Tor schmal und sonst niemand in Sicht war, blieb Armido nichts übrig, als zu antworten. Zudem war es töricht, bereits bei seiner Ankunft Aufmerksamkeit zu erregen. Er klaubte daher einen Silberling aus seinem Gürtel und hielt ihn in der offenen Hand.
»Ist das Grund genug?«
Der Knecht überlegte kurz, machte aber keine Anstalten, den Eingang zu räumen. »Was will so ein feiner Künstler hier in den Bergen? Hätte ich die Wahl, wäre ich lieber in Paris oder wo Ihr sonst herkommt.«
Nach langen Jahren auf Reisen kannte Armido diese Spielchen gut genug, um zu wissen, was zwischen den Zeilen stand. Er zog eine weitere Münze aus seinem Gürtel und verschloss dieses Mal die Hand des Knechts. »Ich liebe die frische Bergluft und bin ohnehin nur auf der Durchreise.«
Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, nahm der Knecht das Geld und ließ Armido passieren, ohne ihm weitere Beachtung zu schenken. Erleichtert, diese Hürde genommen zu haben, führte
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