Die Malerin von Fontainebleau
tun. Es waren zu viele …« Élies Stimme war tonlos, und seine Augen blickten ins Leere. Der Schock stand beiden tief in die vergrämten Gesichter geschrieben.
»Mein Gott!« Entsetzt hielt Aleyd sich die Hand vor den Mund.
»René de Montjehan ist nicht nur ein Räuber, sondern auch ein gemeiner Mörder, und die Männer des Connétable haben ihm dabei geholfen«, ergänzte Jacob. »Ich habe gehört, wie der Gouverneur seine Leute angefeuert hat, dass sie sich nehmen sollten, wonach ihnen der Sinn stand. Dafür seien sie hier, sie hätten es sich verdient, und der Connétable
hätte ihnen seinen Segen gegeben. Seinen Segen!« Jacob spuckte aus.
Sidrac bemerkte: »Wir sind nichts weiter als zu jagendes Wild für diese Bestien. Wenn es ihnen gefällt, erfinden sie einen Vorwand und fallen über uns her. Und alles im Namen des Herrn …« Intelligente dunkle Augen schauten die Anwesenden aus einem gut geschnittenen, von tiefen Stirnfalten geprägten Gesicht an.
»Wir müssen uns wehren!«, sagte Aleyd kämpferisch.
»Wie denn?«, spöttelte Élie. »Ich habe meine Muskete abgefeuert, und dann hat mich ein Schwerthieb am Ohr getroffen. Die Verbrennungen haben wir uns zugezogen, als wir in den Flammen unserer Häuser nach Überlebenden suchten. Wir sind zu wenige, und wir sind keine Soldaten. Das Töten ist eine Todsünde.«
»Wir müssen das tun, zu dem wir berufen sind – das unverfälschte Wort Gottes verbreiten!« Jules blickte zu Suzanne, die ein gutes Dutzend Eier in ihrem Rockzipfel hereintrug. »Deshalb ist es eminent wichtig, dass wir die Evangelien auf Französisch und in einem handlichen Format herausbringen.«
»Und Montjehans Tat bleibt ungesühnt?«, fragte Jacob düster.
»Die Rache an einem Feind ist uns Christen nicht erlaubt. So steht es bei Matthäus, in den Römerbriefen und bei Petrus«, sagte Jules fest.
»Der Herr verlangt viel von uns, und ich bin nur ein schwacher Mann.« Jacob starrte auf seine verbrannten Fäuste.
Sanfter sagte Jules: »Wenn du zweifelst, triumphieren sie, Jacob.«
Sidrac stand auf und beugte sich zu Élie. »Zeig mir deine Verwundung.«
Élie hielt ihm den Kopf hin, und der Arzt entfernte den
notdürftig angelegten Verband, der aus einem schmutzigen Stofffetzen bestand. Zum Vorschein kam ein Ohr, dessen obere Hälfte abgetrennt war. Der Rest war ein unförmiger roter Klumpen, in dem Haare und Schmutz klebten. Sidrac sog scharf die Luft ein. »Komm hier herüber, Élie. Das muss ich waschen. Suzanne!«
Doch seine Frau stand bereits an den Töpfen und bereitete das Essen zu. »Aleyd kann dir helfen. Sie macht das sehr gut.«
Sofort erhob sich Aleyd und ging zu Sidrac, der Élie auf einem Stuhl vor seinem Arzneischrank platzierte. Mit ruhigen Handbewegungen, die von jahrelanger Erfahrung sprachen, entfernte Sidrac lose Haare und Holzsplitter, die in der nässenden Wunde klebten. »Siehst du diese ausgefranste Schnittstelle? Das macht die Heilung langwierig.«
Mit schief gehaltenem Kopf saß Élie ergeben auf dem Stuhl und hielt sich an der Sitzfläche fest. »Das Ohr war nicht sofort ab. Wir hatten keine Zeit, und da habe ich das herunterhängende Stück einfach abgeschnitten.«
Bei dem Gedanken drehte sich Aleyd der Magen um. Sidrac beobachtete sie. »Das Ohr schmerzt nicht so stark wie zum Beispiel eine Hand. Du hast das Richtige getan, Élie. Es wird brennen, wenn wir die Tinktur zum Säubern auftragen. Außerdem sind die Brandblasen mit Haaren verunreinigt. Wenn ich nicht alle herausziehe, wird es sich entzünden.«
Der Arzt deutete auf die Blasen, die an Schläfe, Stirn und auf der Kopfhaut zu sehen waren. Unter Sidracs Instrumenten befanden sich Messer und Schaber, Löffel, Blasensteinhaken, Lidhalter und Pinzetten, von denen Sidrac eine benutzte. Aleyd reichte ihm eine Lösung aus Wegerichblättern und zum Schluss eine Salbe aus Ringelblumen, die aufgetragen wurde, bevor der Arzt einen neuen Verband anlegte.
»Was genau hast du eigentlich getan, dass sie dich damals
verbannt haben?«, fragte Aleyd, die bewundernd jeden Handgriff des erfahrenen Arztes verfolgte.
»Genau das, was wir jetzt tun. Ein Dorfbewohner war von einem Pferd getreten worden. Seine Kniescheibe war zerschmettert, eine schlimme Wunde. Weil ich die am Ostersonntag sofort behandelt habe, hat mich der Nachbar angezeigt. Dabei ist es keine Sünde, am Sonntag zu arbeiten, denn die Evangelien verbieten es nicht.« Er zuckte die Schultern. »Es war nur einer von vielen Gründen. Ich war
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