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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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Hier oben im Hochgebirge brauchte alles länger. Der Winter brachte schneidende Kälte, und der Schnee lag oft bis in den Mai hinein. In dieser Welt aus grauem Fels und ewigem Eis waren die Menschen auf das wenige angewiesen, was die Natur ihnen schenkte. Menschen und Tiere rückten enger zusammen, und die Gemeinden waren eingeschworene Gemeinschaften.
    Ausgerechnet hier hatten die eifrigen Häscher der heiligen römischen Kirche einen der Ihren gefangengenommen und ins Gefängnis von Embrun geworfen. Unter dem Schutz ihres Umhangs strich sich Aleyd über den Bauch, der noch
flach war, doch sie konnte spüren, wie sich ihr Körper veränderte. Manchmal war ihr übel, und an anderen Tagen überkam sie der Heißhunger. Jules allerdings war viel zu sehr mit der Verteidigung von Estève Brun beschäftigt, als dass er diesen Anzeichen Beachtung geschenkt hätte.
    Eigentlich hatten sie in Lyon bleiben und über eine neue Bibel sprechen wollen, eine kleinere Schrift, die jeder in der Tasche mit sich tragen konnte. Doch dann hatte die Nachricht von Bruns Gefangennahme sie erreicht, und Jules hatte es als seine Pflicht angesehen, dem Glaubensbruder zu helfen, der ein enger Freund der Familie war und ihnen in der schweren Zeit nach dem Tod ihres Vaters beigestanden hatte. Die Situation wurde durch die dramatischen Ereignisse im Piemont und einigen französischen Dörfern der Vaudois zusätzlich erschwert. In diesen Tagen wurden die ersten Flüchtlinge aus Bobbio und Villanova erwartet. Viele hatten Familie und Freunde in den Bergen um Embrun und Briançon. Bis hierhin wagten sich die marodierenden Söldner René de Montjehans nicht.
    Eine Windböe trieb Schnee von den nahen Gipfeln herunter. Aleyd fröstelte. Embruns Erzbischof, Antoine de Lévis de Château-Morand, war nicht besser als seine verhurten Kollegen, allen voran Tournon. Die Grausamkeit und die Ungerechtigkeit, mit der Männer der katholischen Kirche gegen Andersgläubige vorgingen, war einer von vielen Gründen, weshalb Aleyd noch nie an ihrem Glauben gezweifelt hatte. Der Glaube gab ihr Kraft, doch er konnte ihr nicht die Sorge um Armido nehmen. Ständig dachte sie an ihn. Hatte er ihren Brief erhalten? Sie hatte lange mit sich gerungen, ob sie ihm schreiben sollte, schließlich hatten die anderen es für zu gefährlich befunden. Doch schuldete sie ihm nicht, dass er von seiner Vaterschaft wusste? Sie war sich des Risikos bewusst gewesen, als sie sich in Paris auf
ihn eingelassen hatte, und war es nicht Gottes Wille, dass sie sich liebten?
    »Aleyd!«, rief jemand hinter ihr.
    Sie drehte sich um und erkannte Suzanne zwischen den Tannen, die die vier Häuser vor den im Gebirge häufigen Unwettern schützten. Ihre engsten Verwandten lebten im Luberon, doch eine Cousine hatte einen barbe aus der Dauphiné geheiratet. Barbe Sidrac Bayle und seine Frau Suzanne lebten mit ihren drei Kindern im Haus am Rande des Weilers. In den anderen Häusern wohnten Isabeau, eine Kräutersammlerin, und zwei Familien, die von ihren Ziegen lebten.
    Aleyd winkte und stapfte durch den Schnee. Bei jedem Schritt knirschte der weiße Grund, ein Geräusch, das sie an glückliche Tage ihrer Kindheit erinnerte. Gemeinsam waren sie und Jules mit ihrem Vater durch die Berge gestapft, um entlegene Gehöfte zu besuchen, auf denen Brüder oder Schwestern den Beistand des barbe benötigten. Ähnliches tat auch Sidrac, der aus dem Luberon verbannt worden war, weil er an einem von der katholischen Kirche verbotenen Tag gearbeitet und aufrührerische Reden gehalten hatte.
    Aleyd lächelte, als sie Suzanne entgegenging. Ihre Cousine war etwas kleiner als sie und hatte runde Hüften und kräftige Arme, mit denen sie mühelos zwei ihrer Kinder zugleich trug. Ihr rötlich-blondes Haar quoll widerspenstig unter der weißen Haube hervor.
    »Was tust du allein hier draußen in der Kälte? Du könntest dir den Tod holen! Und das in deinem Zustand!«, sagte Suzanne vorwurfsvoll, und ihre blauen Augen blickten dabei so treuherzig, dass Aleyd sie in die Arme nahm und fest an sich drückte.
    »Du bist wie eine Mutter zu mir, aber woher weißt du …?«
    »Ich bitte dich, ich habe fünf Kinder zur Welt gebracht, was glaubst du?«

    Zwei Mädchen waren an Typhus gestorben, geblieben waren Suzanne und Sidrac drei Söhne, die ihr ganzer Stolz waren. »Gibt es etwas Neues aus Embrun?« Sie hakte sich bei ihrer Cousine ein und ging mit ihr den ausgetretenen Pfad zum Haus hinauf. Die Tannen waren teilweise über zehn

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