Die Malerin von Fontainebleau
Armido sein Pferd durch enge Gassen, zwischen ärmlich wirkenden Häusern hindurch. Einzig eine Kathedrale in der Stadtmitte und ein mehrstöckiges Haus mit stuckverzierter Fassade stachen aus dem grauen Einerlei heraus. Die Dächer schienen sich unter der Last des Schnees zu biegen, und Eiszapfen hingen von Mauervorsprüngen und
Dachtraufen herab. Da es auf den Abend zuging, waren nur noch wenige Menschen auf den von Pferdekot und anderem Unrat verschmutzten Straßen. Der Wind hatte in den letzten Stunden zugenommen und tat ein Übriges, die Leute in ihre Behausungen zu treiben. Armido zog sich schützend die Kapuze ins Gesicht und suchte nach einem Gasthaus.
Nachdem er den Marktplatz einmal umrundet hatte und kaum lesbare Schilder in düsteren Gassen ihn nicht überzeugt hatten, entschied er sich für das Gasthaus, das am dichtesten an der Kathedrale lag. »Zum silbernen Greifen« stand in stolzen Lettern auf einem ovalen Schild, das quietschend hin- und herschwang. Dann wollen wir mal sehen, ob das Etablissement dem Namen eines erhabenen Raubvogels Ehre machen kann, dachte Armido und band sein Pferd an einem eisernen Ring in der Hausmauer fest.
Aus den schmalen Fenstern drang nur wenig Licht auf die Straße, und von drinnen war weder Geschrei noch Musik zu hören. Ob das ein gutes Zeichen war, würde sich gleich zeigen. Entschlossen öffnete Armido die beschlagene Tür. Er fürchtete sich nicht vor Soldaten, höchstens vor Sampieris oder Mallêts Häschern, doch warum sollten die ausgerechnet hier in Embrun sein? Und er hatte sich nichts vorzuwerfen. Noch nicht.
Die Gaststube bot mindestens Raum für zwanzig Leute, doch es war niemand zu sehen. Erstaunt blieb Armido in der Mitte stehen und betrachtete die sauber gewischten Holztische und Bänke, die Glut in einem gusseisernen Ofen und unzählige Schüsseln, Pfannen und Töpfe aus Kupfer, die überall an den Wänden hingen. Einige Gefäße wirkten fremdländisch, und in einer Ecke stand eine seltsam anmutende Pfeife. Interessiert trat Armido näher.
Als er sich das bauchige Gefäß mit dem Schlauch genauer betrachtete, sagte eine rauchige Frauenstimme hinter ihm:
»Eine nargileh . Bei uns ist es Brauch, mit unseren Gästen zu rauchen.«
Überrascht drehte sich Armido um und fand sich einer Frau mit bronzefarbener Haut, hohen Wangenknochen und Augen von einer faszinierenden Schwärze gegenüber. Sie trug ein Kleid, das ihren Körper umfloss, und ein Tuch, das ihre Haare bedeckte, ihre Schönheit jedoch keineswegs beeinträchtigte.
»Aziza! Was geht da vor?«
Die junge Frau faltete die Hände, berührte ihre Stirn, während sie sich würdevoll verneigte, und verschwand. Gleich darauf trat ein großer Mann mit feindseliger Miene aus einem Nebenraum. »Wer ist da? Wir haben geschlossen!«
Der Mann hatte ein kantiges Gesicht, doch seine Haut sah aus, als hätte er viele Jahre unter heißer Sonne verbracht.
»Verzeiht, Monsieur, aber die Tür war offen und das Schild draußen ließ mich eintreten in der Hoffnung auf ein warmes Bett und ein Abendmahl. Aber wenn Ihr geschlossen habt, könnt Ihr mir dann vielleicht ein anderes Gasthaus empfehlen? Ich bin fremd in Embrun.«
Der Mann musterte ihn. »Ihr seid Italiener?«
»Aber ja. Armido Paserini. Meiner Familie gehört eine Stukkadorwerkstatt in Siena.«
Freundlicher sagte der Mann in fließendem Italienisch: »Ah, ich mag Euer Land. Ihr habt nichts mit den Leuten des Bischofs zu tun?«
»O nein!«, antwortete Armido im Brustton der Überzeugung.
Der Wirt nickte. »Dann seid mein Gast. Habt Ihr ein Pferd bei Euch?«
»Ja, draußen vor der Tür.«
Ohne ein weiteres Wort ging der Wirt voran. Armido folgte ihm, band sein Tier los und ging mit dem Wirt um
das Haus herum. Der Durchgang zum Stall war so schmal, dass Mann und Pferd gerade hindurchpassten.
»Ich heiße Arnaud«, sagte der Wirt, während er Armido beim Absatteln und Füttern half. Neben dem Braunen standen ein Maultier und ein zotteliges kleines Pferd. In einem abgetrennten Koben waren drei Schweine. Arnaud strich dem Pferd, das sich nach ihm umsah, über die Nüstern. »Gute Nacht, mein Braver. Unterschätzt ihn nicht. Diese Tiere sind ideal in den Bergen, sicher im Tritt und unempfindlich gegen die Kälte.«
»Mein Pferd hat sich etwas in den Hinterhuf getreten. Ich habe den Stein zwar entfernt, aber es scheint noch Schmerzen zu haben, denn es hinkt, wie Ihr gesehen habt.«
»Ich kenne da einen Mann, aber der kommt erst morgen oder übermorgen
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