Die Malerin von Fontainebleau
der Armido sich mehr erfreut hätte, wenn die Wege weniger gefährlich gewesen wären. Die Unzugänglichkeit der Berge, deren Gipfel das ganze Jahr über mit Schnee bedeckt waren, schützte die Bewohner der Dörfer und Weiler jedoch vor Verfolgern. Sidrac hatte ihm von den hier lebenden Glaubensbrüdern erzählt, die sich nur selten trafen, um kein Aufsehen zu erregen. Da er Medizin studiert hatte, konnte Sidrac in seiner Funktion als Arzt herumreisen und die Gemeindemitglieder besuchen, um zu taufen oder die Sterbesakramente zu lesen. Bisher war er nicht in Konflikt mit dem Erzbischof von Embrun geraten, doch die Zeiten hatten sich geändert, seit Montjehan Gouverneur von Turin geworden war. Der König hatte fast zeitgleich in Turin das Parlament haute cour de justice geschaffen, ein weiteres Instrument zur Bekämpfung der Häresie.
Noch am Abend seiner Ankunft hatten sie entschieden, die Hochzeit nicht weiter aufzuschieben, denn in unsicheren Zeiten wie diesen wusste niemand, was morgen geschehen mochte. Da Armido bereits getauft war, hatte Sidrac darauf verzichtet und für die Aufnahme in die Gemeinschaft lediglich das Glaubensbekenntnis von Armido verlangt. Seit Monaten kannte Armido jedes Wort der Resolution von Chanforan und war glücklich, dass endlich der Tag gekommen war, an dem er sich offen zu seinem neuen Glauben bekennen konnte.
Zusätzlich zum Feuer erfüllten die Anwesenden die Wohnküche der Familie Bayle mit Wärme. Armido ließ seinen Blick über Suzanne, ihre Kinder, Élie und Jacob, Jules und Aleyd, die Nachbarin Isabeau und die Familien der benachbarten Ziegenhirten Pascal und Hugues gleiten. Immer wieder wurden seine Augen zu Aleyd gezogen, deren mit seidenen Bändern geschmücktes Haar ihr einziger Schmuck
war. Dem Armutsgebot waren die Vaudois nicht unterworfen, doch äußere Schlichtheit und zurückhaltendes Auftreten waren eine Verpflichtung.
Nachdem Pascals Frau ihr Kind, das sie in einem Tuch vor der Brust trug, wieder beruhigt hatte, ergriff Sidrac das Wort. Ein schmaler Tisch diente ihm als Altar. »Ich denke, dass Armido uns eine ausreichende Probe seiner Kenntnisse gegeben hat. Da sich die Katholiken gerade in der Fastenzeit befinden – wie halten wir es damit?«
»Die Schrift legt keine Zeiten zum Fasten fest«, antwortete Armido.
»Das Zölibat?« »Die Ehe ist für niemanden verboten, gleich welchen Standes oder Ranges er sei, und wer die Ehe verbietet, lehrt Teufelsdoktrin.«
»Richtig. Wie steht es mit der Rettung der Seelen?«
»Alle, die gerettet wurden und gerettet werden, sind vor Grundlegung der Welt erwählt. Die, die gerettet werden, können nicht verloren gehen. So steht es bei den Ephesern und in den Römerbriefen.« Armido sprach mit fester Stimme, denn er war von diesen Glaubensregeln aus tiefstem Herzen überzeugt. Sie gaben ihm Zuversicht und Hoffnung.
»Eine unserer ältesten Regeln, sine gladio et juramento , ohne Schwert und ohne Eid, mussten wir lockern. Ein Christ darf nun beim Namen Gottes schwören, ohne Matthäus 5,24 zuwiderzuhandeln. Die Obrigkeit hat ihre Macht von Gott, ob sie glaubt oder nicht, und daher dürfen wir zum Heil des Nächsten schwören.«
Unter den Anwesenden erhob sich zustimmendes Gemurmel. Jacob, dessen rechte Wange von einer Brandwunde entstellt war, tastete unbewusst nach seinem Vollbart, von dem nur noch die Hälfte vorhanden war. »Vor dem hinterhältigen Überfall durch Montjehan war ich ein blinder Eiferer
und hätte darauf bestanden, dass wir keinen Eid ablegen dürfen.« Eine Träne rollte über seine verwundete Wange. »Aber jetzt gehe ich sogar noch weiter und sage, dass wir uns den Protestanten anschließen sollten! Zu viele mussten bereits sterben, und wofür? Wofür …« Seine Stimme wurde brüchig, und er verbarg das Gesicht in den Händen.
Der neben ihm sitzende Élie legte ihm den Arm um die Schultern. »Schon gut, Jacob, aber wir dürfen nicht aufgeben.«
»Nein! Du sprichst mir aus der Seele, Élie. Genau das wollen sie doch erreichen mit ihren Drangsalierungen, Erpressungen und den Morden. Sie wollen uns einschüchtern und zum Aufgeben zwingen. Viele von uns fühlen sich sicherer, wenn sie sich Protestanten nennen. Mit der Anerkennung der Resolution sind wir nicht mehr weit davon entfernt. Wir geben unsere Identität auf. Früher haben wir Frauen predigen lassen. Und heute? Da schicken wir unsere barbes auf protestantische Schulen.« Jules war aufgesprungen, und seine Augen sprühten, während er seinen
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