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Die Malerin von Fontainebleau

Die Malerin von Fontainebleau

Titel: Die Malerin von Fontainebleau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilken Constanze
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grob gezimmerten Bretter fiel. Auf einer kleinen Empore seitlich des Schafotts hatten der bailli , Guy de Mallêt und ein anderer dörflicher Würdenträger, den Didier nicht kannte, Platz genommen. Die fette Matrone neben dem bailli musste dessen Frau sein. Sie trug ein zitronengelbes Kleid und fächelte sich unentwegt Luft mit einem Fächer zu.
    Albin rappelte sich auf und stierte mit hängendem Kopf geradeaus. Er war an Händen und Füßen gefesselt, und aus der aufgeplatzten Wange rann Blut. Die Leute waren begeistert und machten keinen Hehl daraus. In ihren Augen konnte die Strafe nicht grausam genug sein, und an Spott und Schadenfreude sparten die Leute nicht. Ihr Alltag war geprägt vom nackten Kampf ums Überleben, von Härte und Missgunst. Da wurde nur selten Mitgefühl offenbart.
    Didier schloss kurz die Augen. Neben ihm an der Hauswand rankte sich erstes zartes Grün mit kleinen weißen Blüten, die einen süßen Duft verströmten, ein kleines Wunder an diesem Tag. Blut und Blütenduft, dachte Didier, wie seltsam. Plötzlich wurde es still. Selbst die Vögel schwiegen. Er öffnete die Augen und sah gerade noch, wie das Beil des Henkers Albins Handgelenke durchtrennte. Blut schoss aus den Stümpfen, die Albin erst ungläubig anstarrte, bevor er in ohrenbetäubendes Geheul ausbrach. Das Volk schrie im gleichen Moment auf und klatschte begeistert Beifall. Ein Henkersknecht kam mit einem Becher und versuchte, Albins
Blut darin aufzufangen. Schon ein paar Tropfen des frischen Blutes von Gerichteten sollten gefährlichste Krankheiten kurieren können und wurden von den Henkern teuer verkauft.
    Der Henker, der eine schwarze, spitz zulaufende Maske trug, die den gesamten Kopf und die nackten Schultern bedeckte, wischte seelenruhig das blutige Beil sauber, stellte es vor sich auf den Boden und wartete auf die Befehle des bailli . Didier beobachtete, wie der junge Bursche der blinden Alten alles genau berichtete. »Jetzt tritt der Priester dazu und fragt, ob der Dieb die Beichte ablegen will.«
    Welch ein Hohn! Wie konnten sie ein Geständnis erwarten, wo Albin vor Schmerzen nicht wusste, wo oben und wo unten war. Aber was hatte der Trottel erwartet? Wer in einem Schloss des Königs dessen Gäste bestahl, hatte nichts anderes als den Tod verdient. Daran hatte der bailli nach der Beweisaufnahme keinen Zweifel gelassen. Das Diebesgut war auf einem Tisch aufgebaut gewesen, und Albin hatte zugegeben, dass er die Sachen aus den Räumen der Künstler gestohlen hatte. Grivel und er selbst hatten Albin in der Nacht mit der Beute erwischt, und eine glaubwürdige Erklärung für sein Tun war Albin nicht eingefallen. Im Grunde hatte Didier nur dafür gesorgt, dass wieder Ruhe in die Mauern Fontainebleaus einkehrte, indem er die Theorie, dass der niederländische Künstler Albin beim Stehlen erwischt hatte, in den Raum gestellt hatte.
    Die Spielleute versuchten, das Geheul des unglückseligen Albin zu übertönen, der den Priester ignorierte. Als der Geistliche die Hände hob, gab der bailli dem Henker ein Zeichen. Didier hatte reden hören, dass der Henker aus Melun stammte, denn hier im Dorf gab es kaum genügend Arbeit für einen Vertreter dieses Standes, der auch Abtritte reinigen und als Abdecker fungieren musste. Genau wie jeder anständige
Christ verabscheute Didier Scharfrichter. Sie waren Parias, deren Söhne das Gewerbe zwangsweise übernahmen und die ihre Kinder nur mit ihresgleichen verheiraten durften. Auch Didier würde sich niemals mit einem Mann dieses Standes sehen lassen. Genauso hielt man es mit Leuten, die ein ähnliches Gewerbe ausübten, wie Büttel, Polizeidiener, Stadtknechte und Gefängniswärter. Sie waren unehrlich und galten als levis notae macula .
    Solche Gedanken kamen Didier in den Sinn, während er gebannt unter seiner Kapuze hervor auf das Schafott schaute. Albin kniete sich freiwillig vor den Richtblock und legte den Kopf darauf. Das Volk, das vorher abfällig gebuht und mit faulem Gemüse nach dem wimmernden und heulenden Albin geworfen hatte, verstummte, beeindruckt von so viel Mut im Angesicht des Todes. Als die Spielleute erneut die Trommeln schlugen, bemächtigte sich eine Art nervöser Spannung der Menschen, die teilweise mit offenen Mündern nach vorn starrten. Auch Didier ging gespannt einen Schritt vor.
    Der Priester trat noch einmal hinzu, sprach seinen Segen und begab sich dann in sicheren Abstand vom Richtblock. Albins Nacken wurde von seinen Haaren verdeckt, die der Henkersknecht

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