Die Malerin von Fontainebleau
vergnügte sich auf dem Fest,
das der Hinrichtung folgte. Luisa nahm ihr Barett ab und reichte es Armido. »Besser, du setzt das auf. Und zieh meine Weste über.«
Das Barett verdeckte Armidos geschorenen Kopf, und die lange Weste seiner Schwester ließ ihn wie einen exotischen Kaufmann aussehen. Dann sah er sich um.
»Komm schon, Gérard wartet unten am Fluss auf uns!«, sagte Luisa und machte zwei Schritte, doch Armido schüttelte den Kopf.
»Ich will sie sehen.«
»Was?« Luisa hielt inne.
»Die Gruben. Ich will Aleyd sehen!«, beharrte Armido und ging auf einen alten Mann zu, der eine Kuh vor sich her trieb. »Entschuldigt, guter Mann, wo sind die Gräber der Armen?«
Mit zusammengekniffenen Augen musterte ihn der Alte, hob seinen Gehstock und wies nach unten. Braune Stumpen wurden sichtbar, als er den Mund öffnete. »Hinter der Flussbiegung. Da verscharren sie unsereinen. Hier oben ist alles felsig.« Er legte den Kopf schief. »Seid ihr fremd hier? Wen sucht ihr denn?«
»Danke«, sagte Armido, ohne auf die Frage einzugehen, und verließ den Weg, um seitlich den Hang hinunterzulaufen.
Luisa blieb keine Wahl. Sie musste ihrem Bruder folgen. »Armido! Warte, überleg doch, was du tust!«
Sein Atem ging schwer, und sein Körper war am Ende seiner Kräfte, doch er schleppte sich weiter. »Das tue ich. Hast du Geld?«
»Ja, aber …«
»Ich werde dem Totengräber ihre Leiche abkaufen und sie anständig beerdigen lassen, und wenn es das Letzte ist, was ich tue.«
Durch Gestrüpp und über staubige Felder gelangten sie hinunter zur Durance. Ein holpriger Weg, dessen tiefe Furchen auf die Leichenkarren deuteten, die ihre traurige Fracht hier entlangbrachten, führte sie vom Fluss weg auf die Rückseite Embruns, das sich über ihnen erhob.
Nach fünf Gehminuten hielt Luisa voller Ekel den Ärmel vors Gesicht. »O nein!«, murmelte sie und blinzelte.
Die Erde war hier ausgedörrt und staubte unter jedem ihrer Schritte. Das Schlimmste aber war der Kalkstaub, der aus der riesigen Grube vor ihnen aufstob, als einer der Totengräber eine Schaufel voll Kalksand hineinwarf. Wie angewurzelt blieb sie stehen und starrte auf die Leiber der Toten, die sich in der Grube vor ihnen stapelten. Der Verwesungsgestank war unerträglich, hielt Krähen jedoch nicht davon ab, ihre Runden zu fliegen und hin und wieder in die Grube zu stoßen, um sich am Fleisch der Toten gütlich zu tun.
Armido ging ungerührt auf den Totengräber zu, der sich ein Tuch vor die Nase gebunden hatte. Sein zerrissenes Hemd verdeckte die vom Kalk zerfressenen Hände und Arme kaum, die seltsam verwachsenen Füße steckten in durchgelaufenen Sandalen.
»Ich suche nach meiner Frau. Sie wurde gestern oder vielleicht auch erst heute Morgen zusammen mit unserem neugeborenen Kind hergebracht«, rief Armido.
Der Totengräber steckte die Schaufel in die Holzkiste mit dem Kalksand und kam zu ihnen. Er klopfte sich die Hände an seinem Hemd ab, das ihm über die schmutzige Hose hing. Dann zog er das Tuch von der Nase und entblößte einen von einer Hasenscharte entstellten Mund.
»Ich weiß nichts von einer Frau mit Kind«, lispelte er und wollte weitergehen.
Armido winkte Luisa. »Gib ihm einen Centime.«
Widerwillig holte Luisa eine Kupfermünze aus ihrem
Geldbeutel und ließ sie in die offene Hand des Totengräbers fallen. Aus seiner Nase floss Rotz, den er sich mit dem Handrücken abwischte. Er grinste dümmlich. »Gestern war ich nicht hier. Heute Morgen ist eine Fuhre gekommen. Die habe ich da vorn reingeworfen. Ein Haus ist abgebrannt.«
Armido und Luisa traten an den Rand der Grube und suchten unter dem hellen Sand und dem aufsteigenden Staub, der in Augen und Hals brannte, nach Hinweisen auf die Identität der Toten. Die Leichen von zwei kleinen Mädchen fielen Luisa ins Auge. Die Kindermünder waren aufgerissen und voller Kalk, die Ärmchen lagen unnatürlich verdreht. Darunter lag der halbverkohlte Körper eines Mannes. Luisa wandte sich ab und entleerte ihren Magen würgend auf den Boden.
Ihr Bruder spähte weiter in das Massengrab. »Wer ist gestern hier gewesen?«, fragte er schließlich.
Der Totengräber kratzte sich den Kopf und schien zu überlegen. Dann schlurfte er davon. Luisa richtete sich auf. »Armido, ich halte das nicht aus. Ich warte am Fluss auf dich.« Sie gab ihm zwei Silbertaler. »Das müsste reichen.«
Er nickte nur.
Ohne sich umzusehen, rannte Luisa den Weg zurück, über eine Wiese und hinunter zum Flussufer, wo
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