Die Malerin von Fontainebleau
selbst noch unerfahren war, so wusste sie doch ziemlich genau, was zwischen Männern und Frauen geschah. Sie war sich einer möglichen Schwangerschaft bewusst, doch verdrängte sie diese Furcht. Nicht alle Frauen wurden sofort schwanger, und manche waren nicht in der Lage zu empfangen. Zwei Schwestern ihrer Mutter hatten nie Kinder geboren. Rossos Mund schmeckte nach Armagnac. Sie wollte diesen Mann und öffnete ihre Schenkel unter seinen Händen. Hätte er sie wahrgenommen, wenn sie ihm als Frau begegnet wäre? Sie bezweifelte es. Ihre Verkleidung war ihr Fluch und Schicksal zugleich.
Der Schmerz war erträglich und währte nur kurz. Da Rosso behutsam war, gewann sie eine Ahnung dessen, worüber sich alle dauernd die Mäuler zerrissen. Nachdem sie in den gemeinsamen Stunden, die sie an der Seite des Meisters verbracht hatte, Einblick in seine Seele gewonnen hatte, bedeutete diese körperliche Vereinigung mit ihm weit mehr für sie als nur die Erfüllung fleischlicher Lust. Sie wusste, dass er ihr niemals ganz gehören konnte, doch in diesem Moment intimen Zusammenseins war er nur bei ihr, und das war mehr, als sie je zu hoffen gewagt hatte.
Als Rosso neben ihr auf dem Rücken lag, stützte sie sich auf die Unterarme und sah ihn an. »Schon bevor ich dich kannte, war ich in deine Werke verliebt, und jetzt in dich.«
»Verwechsle Leidenschaft nicht mit Liebe. Begehren ist etwas Rauschhaftes und nur von kurzer Dauer. Liebe ist für die Ewigkeit, und ich liebe nur die Kunst. Ich bin ein Künstler, ein Vagabund, eine rastlose Seele, die nur in ihren Visionen glücklich sein kann.«
»Sind wir uns dann nicht ähnlich? Ich habe alles aufgegeben, nur um hier bei dir malen zu können. Ich verkleide mich als Mann, weil man mich sonst nicht fortgelassen hätte, und, sei ehrlich, du hättest keine Frau in der Galerie mit dir arbeiten lassen!«
Er legte ihr einen Finger unter das Kinn. »Nein, das hätte ich nicht, und ich weiß auch nicht, was ich jetzt mit dir anfangen soll.«
Entsetzt sagte sie: »Du darfst mich nicht fortschicken!«
»Nein? Nun, wir werden sehen. Du faszinierst mich, Luca.« Spielerisch fuhren seine Finger die Linie ihres Halses bis zu ihrem Schlüsselbein hinunter. »Und das ist mehr, als ich von den meisten Menschen sagen kann …«
Zitternd saß Armido auf dem feuchten Boden seiner Zelle. Das also war die berüchtigte Bastille. Die Festung mit den Gefängnistürmen und den cachots , den grabähnlichen Löchern unter dem Hof, in denen so mancher Gefangene sein Leben gelassen hatte. Armido hustete und blinzelte in die Finsternis. Ein Türspalt warf etwas Licht in seine Zelle, die ihm gerade genügend Raum zum Stehen ließ. Von außen drang kein Laut zu ihm. Die Mauern waren zehn Fuß stark, erzählte man sich. Er stützte das Gesicht in die Hände und schalt sich einen Narren. Was bildete er sich ein? Kam in ein fremdes Land und mischte sich in Angelegenheiten,
die nicht die seinen waren. Und doch! Er ballte die Faust. Es ging ihn an, denn er wollte einer von ihnen sein. Nicht nur, weil er Aleyd liebte, jetzt war ihr Kampf auch seiner. Er hatte für sie getötet, für den neuen Glauben und für seine Liebe. Die Gründe waren letztlich gleich. Die Soldaten auf dem Kahn hatten ihn mit brutaler Gewalt fortgeschleppt. Ihre Stiefeltritte mussten ihm eine Rippe gebrochen haben, denn das Atmen schmerzte. Noch schlimmer aber war die nasse Kleidung. Er musste sich trocknen, sonst würde ihn das Fieber umbringen.
Armido erhob sich und zog sich mit klammen Fingern aus. In einer Ecke entdeckte er einen Haufen altes Stroh, das nicht allzu sehr stank. Er nahm zwei Hände voll und rieb sich damit ab, bis er das Gefühl hatte, dass seine Haut rot und durchblutet war. Anschließend hockte er sich auf das Stroh und häufte es auf seinen Körper, um sich warm zu halten. Die Anstrengungen übermannten ihn, und er nickte ein. Wie lange er in der unbequemen Stellung verharrt hatte, konnte er nicht sagen, als sich draußen jemand an der Tür zu schaffen machte.
Ein Schlüssel wurde quietschend im Schloss gedreht, ein Riegel zurückgeworfen und die Tür mit Schwung nach innen gestoßen. Schützend hielt Armido sich die Arme vor das Gesicht. Die Lampe in der Hand des Gefängniswärters blendete ihn, und er fürchtete sich vor neuen Misshandlungen.
»Was bist du denn für einer? Ein Irrer? Sieh dir das an, er ist nackt!«
Jemand lachte derb. »Kretin. Na los, steh auf und zieh dich an. Du kommst zur
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