Die Maori-Prinzessin
Lucie. Ihre Wangen glühten vor Aufregung.
»Es wird dich freuen. Ihre Mutter ist Maori …«
Lucies Miene verdüsterte sich. »Ich weiß nicht, ob das ein Grund zur Freude ist. Wenn ich bedenke, was Joanne meinetwegen an Häme ertragen musste.«
»Mutter, jetzt hör auf! Das ist die Dummheit der anderen und nicht dein Fehler. Glaubst du, mir hat keiner etwas nachgerufen, als ich ein Kind war? Aber ich habe entweder die Fäuste sprechen lassen oder sie als pickeliges Bleichgesicht tituliert. Was meinst du, wie schnell das aufgehört hat! Joanne hat selbst Schuld, weil sie sich für etwas Besseres hält. So, und jetzt werde ich mein verwöhntes Schwesterchen mal schnell auf die schwankenden Planken jagen.« Tommy gab Lucie einen Kuss auf die andere Wange, bevor er ging.
Lucie blieb noch eine ganze Weile in seinem Zimmer sitzen. In ihrem Kopf ging alles durcheinander. Wie gern würde sie mit Tom über Joanne sprechen, aber das durfte sie nicht. Der neue Arzt hatte ihr eingeschärft, jede Aufregung von ihm fernzuhalten. Tom wusste ja nicht einmal, warum sie den Arzt gewechselt hatte. Er glaubte, sie habe das aus Rücksicht auf ihn getan, weil er den jungen Doktor Thomas nicht mochte. Sie hatte ihn in dem Glauben gelassen. Wenn er ahnte, wie nahe dieser Schnösel seiner Tochter gekommen war …
Tom hatte John Clarke ebenfalls in sein Herz geschlossen. Wie Tommy es getan hatte, und Harakeke. Alle mochten diesen bodenständigen gut aussehenden Mann. Was sie nur an diesem Doktor findet, fragte sich Lucie, in deren Augen John wesentlich attraktiver als Bertram Thomas war. Aber was in Joannes Kopf vorging, würde sie wohl nie verstehen. Obwohl sie das Mädchen nach wie vor wie eine eigene Tochter liebte, war ihr Verhältnis seit jenem Tag vor drei Jahren noch schlechter geworden als zuvor. Joanne gab ihr mehr als deutlich zu verstehen, wie sehr sie darauf gehofft hatte, dass die Gerüchte, Lucie sei nicht ihre Mutter, stimmen würden. Doch seit dem Vorfall im Haus der MacMurrays redete kein Mensch mehr darüber. Rosalyns Mutter hatte sich sogar bei Lucie entschuldigt. Und dennoch war Lucie nicht glücklich über das enge Verhältnis der beiden Mädchen, denn Rosalyn kam nie zu ihnen nach Hause, sondern immer war es Joanne, die ihre Freundin besuchte. Manchmal übernachtete sie sogar gleich mehrere Tage bei den MacMurrays. Lucie stutzte. Ob sie wirklich bei Rosalyn schlief oder … Den Gedanken mochte Lucie gar nicht zu Ende denken, und doch ließ er sich nicht verdrängen. Was, wenn Rosalyn ihrer Freundin nur ein Alibi gab, damit sie sich ungestört mit ihrem Doktor treffen konnte? Lucie seufzte. Selbst, wenn es so wäre, sie würde das niemals erfahren, denn sie würde ihren Verdacht auf keinen Fall aussprechen. Dazu war ihre Sorge, dass sich Joanne dann noch mehr von ihr distanzieren würde, viel zu groß. Hoffentlich dringt Tommy zu ihr durch, dachte Lucie. Plötzlich musste sie an die junge Frau denken, von der ihr Sohn erzählt hatte. Es berührte sie, dass Tommy sich ausgerechnet in eine Halbmaori verliebt hatte, und sie wünschte ihm von Herzen, dass ihm die Schwierigkeiten erspart blieben, die seinem Vater entstanden waren, weil er eine Maori geheiratet hatte. Sie sollte ihn unbedingt ermutigen, ihr das Mädchen baldmöglichst vorzustellen.
N APIER , D EZEMBER 1908
Es war herrlichstes Segelwetter. Der Wind war gerade so stark, dass er das Boot elegant über die Lagune gleiten ließ. Tommy hatte alles genau geplant. Zunächst würden sie einen Schlag segeln und dann auf der anderen Seite in Strandnähe ankern. Er hatte sich von Stella einen Picknickkorb zusammenstellen und zum Lockern von Joannes Zunge eine Flasche Wein einpacken lassen. Er hatte gehofft, seine Schwester mit seiner Begeisterung für das Segeln anstecken zu können, doch die Hoffnung hatte sich nicht erfüllt. Joanne nörgelte, seit sie das Boot betreten hatte. Es war ihr zu wackelig, zu kalt und zu nass. Tommy aber kümmerte sich nicht darum, sondern genoss den Törn über die Lagune.
»Was meinst du, sollen wir jetzt mal eine Pause einlegen?«, fragte Tommy seine griesgrämig dreinblickende Schwester.
»Meinetwegen«, knurrte sie. »Wie kann man daran nur Spaß haben. Es ist einfach nur nass und kalt!«
Tommy lachte. »Man muss es mögen.«
Als der Strand zum Greifen nahe war, ließ er die Segel runter und den Anker ins Wasser fallen. Da sie im Windschatten lagen, dümpelte das Boot nur leicht hin und her. Plötzlich hörte er ein lautes
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