Die Maori-Prinzessin
sie. »Du musst dich schonen.«
»Was sagt der Arzt?«
»Er wollte warten, bis du aufgewacht bist. Ich glaube, er wartet im Garten.«
»Gut, dann hol ihn. Ich werde alles tun, was er verlangt, damit sich das hier nicht noch einmal wiederholt«, brummte er.
»Ich kann dich doch nicht alleinlassen«, flüsterte Lucie.
»Und wenn ich dir schwöre, dass es nicht wieder vorkommt«, erwiderte Tom und versuchte zu lächeln.
»Ich will dich nicht verlieren. Hörst du?«
»Das ist das Schönste, was du mir sagen kannst, meine Liebe. Denn ich habe schon geglaubt, du duldest mich nur noch im Haus wegen der Kinder …«
»Vater, Vater«, ertönte da die angsterfüllte Stimme ihres Sohnes. »Ich bin sofort von der Mission weg, als ich gehört habe, was passiert ist. Was machst du bloß für Sachen?«
»Ich bin ein Esel«, sagte Tom. »Meinst du, dass du zusammen mit John das Geschäft führen kannst? Ich werde wohl für ein paar Wochen ausfallen. Und mich auch danach mehr um meine Frau kümmern müssen.« Tom schenkte Lucie, die den Platz am Bett für ihren Sohn freigemacht hatte, einen zärtlichen Blick. Sie aber wandte sich hastig ab, weil sie gegen die Tränen ankämpfte. Es sehe nicht gut aus, hatte der junge Doktor Thomas ihr gesagt. Es ist merkwürdig, dachte Lucie, erst im Angesicht des Todes weiß ich, wie groß sein Platz in meinem Herzen stets geblieben ist. Wenn er das Geschäft jetzt wirklich an Tom übergibt und sich schont, bleiben ihm sicherlich noch ein paar schöne Jahre, redete sich Lucie gut zu, während sie sich in Richtung der Veranda aufmachte.
Schon im Wohnzimmer hörte sie die Stimme des jungen Doktors. Sie mochte ihn nicht besonders. Er war so ganz anders als sein Vater, der alte Doc Thomas. Der hatte für seine Patienten gelebt und war immer zur Stelle gewesen. Sein Sohn trug die Nase stets ein wenig zu hoch, als wäre er etwas Besseres. Außerdem munkelte man, er hätte seine Frau nur geheiratet, weil sie schwanger geworden war. Lucie schob den Gedanken an das Gerede beiseite. Schließlich wollte sie nichts darauf geben, wenngleich sie tief im Inneren wusste, dass hinter jedem Gerücht zumindest ein Körnchen Wahrheit steckte, wie sie gerade schmerzhaft am eigenen Leib zu spüren bekam.
»Bitte sagen Sie mir die Wahrheit!« Das war Joannes Stimme.
Lucie blieb stehen und wagte kaum zu atmen. Sie verstand es selbst nicht, warum sie nicht hinausging und den Doktor holte, so wie Tom es verlangt hatte.
»Ach, liebste Joanne, ich würde Ihnen so gern Hoffnungen machen, aber … ach nein, bitte, ich kann Ihnen nichts sagen …«
»Bitte, Herr Doktor!«
»Gut … nun, den nächsten Anfall wird er nicht überleben.«
Joanne schluchzte verzweifelt auf. Lucies Herz klopfte ihr bis zum Hals, doch sie rührte sich nicht vom Fleck.
»Dann darf er einfach keinen mehr bekommen!«, sagte Joanne unter Tränen.
»Genau. Er muss sich schonen. Keine Aufregung. Was ist denn heute überhaupt passiert? Als ich bei den MacMurrays eintraf, waren ja alle völlig außer sich. Und das Hausmädchen ließ verlauten, es habe einen Riesenkrach zwischen Ihrem Vater und Misses MacMurray gegeben.«
»Mein Vater wollte Misses MacMurray zur Rede stellen. Sie sollte aufhören zu behaupten, meine Mutter wäre nicht meine leibliche Mutter.«
Lucie ballte die Fäuste. Sie wusste, es war falsch zu lauschen, aber sie konnte nicht anders.
»Ja, das habe ich auch schon läuten hören«, bemerkte der junge Arzt.
Das genügte! Lucie straffte die Schultern. Nun war es höchste Zeit, die traute Zweisamkeit zu stören. Doch die Antwort ihrer Tochter ließ sie erstarren.
»Ich fühle es von Kindheit an, dass meine Mutter keine Maori sein kann. Ach, es ist alles so entsetzlich. Ich wünschte, ich wäre an Rosalyns Stelle und …«
Lucie hielt die Luft an. Plötzlich war alles still. Lucie bewegte sich wie in Trance auf die Verandatür zu, und was sie dort sah, wollte ihr schier das Blut in den Adern gefrieren lassen: Joanne lag in den Armen des Doktors, und sie küssten sich leidenschaftlich.
Lucie wusste, dass es nicht klug sein würde, aber sie konnte sich nicht beherrschen. Wie eine Rachegöttin sprang sie aus dem Schatten des Hauses auf die Veranda hinaus. Die beiden stoben auseinander und sahen sie entgeistert an.
»So, lieber Herr Doktor Thomas, Sie verlassen jetzt sofort mein Haus und kehren nie wieder zurück«, zischte Lucie. Am liebsten hätte sie geschrien, aber die Gefahr, dass Tom es oben in seinem Zimmer mitbekam,
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