Die Maori-Prinzessin
behalten.
»Wo liegt er? Kann ich ihn besuchen?«
Lucie kämpfte mit sich. Es war nicht der richtige Zeitpunkt, Joanne mit der Wahrheit zu belasten.
»Kann ich ihn besuchen?«, hakte Joanne nach.
»Nein, ja, warte bis morgen. Du bist selbst noch viel zu geschwächt, um einen Krankenbesuch zu machen. Sie wollen dich morgen entlassen, und dann schaust du bei ihm vorbei, ja?«
»Gut, Mutter, dann lass mich einfach noch ein wenig schlafen. Ich bin so schrecklich müde.« Sie gähnte zur Unterstreichung ihrer Worte kräftig. »Wirst du jetzt nach Hause gehen oder besuchst du Tommy auf dem Weg?«, fügte sie hinzu und hoffte inständig, dass Lucie diese Frage nicht merkwürdig vorkam.
»Nein, ich werde jetzt nach Hause gehen und mir auf dem Weg überlegen, was ich eurem Vater erzählen kann. Dass ihr beide im Krankenhaus liegt, sollte ich ihm lieber verschweigen.«
»Ach, du bist lieb«, entfuhr es Joanne. Lucie berührte diese zärtliche Äußerung ihrer Tochter so sehr, dass sie sich hinunterbeugte und ihr Küsse auf beide Wangen gab. Ein Zeichen ihrer Liebe, wie sie es Joanne gegenüber seit Jahren nicht mehr zu zeigen gewagt hatte.
Fast beschwingt verließ Lucie das Krankenzimmer. Vielleicht wendete sich doch alles zum Guten. Tommy wurde wieder gesund, und Joanne hörte endlich auf, gegen sie zu opponieren.
Das gute Gefühl verschwand im Dunkel der Angst, als sie auf der Treppe dem Doktor begegnete.
»Ich wollte Sie gerade holen«, sagte er mit einer Stimme, die nichts Gutes verhieß.
Lucie spürte einen Kloß im Hals. Sie brachte kein Wort heraus, sondern blickte den behandelnden Arzt nur angsterfüllt an.
»Sein Zustand verschlimmert sich rapide. Er hat das Bewusstsein immer noch nicht wiedererlangt. Gehen Sie zu ihm, halten Sie seine Hand, verabschieden Sie sich von ihm.«
Lucies Knie gaben nach, sodass sie sich an der Wand abstützen musste.
»Heißt das …?« Ihre Stimme brach.
Der Arzt nickte.
»Kommen Sie. Ich helfe Ihnen.« Er hakte Lucie unter und führte sie an Tommys Bett.
Tränen rannen Lucie über das Gesicht, als sie ihren Sohn so daliegen sah. Bis auf den Kopfverband machte er den Eindruck, als ob er friedlich schliefe. Plötzlich zitterten seine Lider, und er öffnete die Augen, versuchte zu sprechen, doch seiner Kehle entrang sich nur ein Krächzen.
Lucie wischte sich hastig die Tränen aus dem Gesicht. Er sollte auf keinen Fall sehen, dass sie geweint hatte. Sie griff nach seiner Hand und drückte sie. Tommy zog jedoch seine Hand weg und versuchte noch einmal zu sprechen. Er wollte ihr unbedingt etwas mitteilen, aber er konnte nicht. Nun machte er ihr ein Zeichen. Sie verstand. Er verlangte nach Papier und Stift. Lucie war unschlüssig, denn sie wollte ihn keinen Augenblick allein lassen, doch in seinem Gesichtsausdruck lag etwas Flehendes.
Lucie eilte aus dem Zimmer und bat eine Schwester, ihr rasch Papier und einen Stift zu bringen, was diese prompt erledigte.
Tommys Hand zitterte, während er seine Botschaft notierte; mit einem Mal erschlaffte sein Griff, und der Stift rutschte auf die Bettdecke.
Lucie warf sich schreiend über ihren Sohn. Sie ließ sich durch nichts beruhigen, bis der herbeigeeilte Arzt ihr eine Spritze geben wollte. Da wurde ihr schwarz vor Augen, und sie sackte zu Boden.
Als sie aufwachte, lag sie in einem Krankenbett und blickte in das besorgte Gesicht der Krankenschwester.
»Ihr Mann holt Sie gleich ab«, sagte die junge Frau.
»O nein! Sie haben es ihm doch nicht etwa gesagt?«
»Der Doktor hat mit ihm gesprochen«, erwiderte die Schwester erschrocken.
Lucie wollte sich im Bett aufsetzen, aber sie konnte nicht. Ihr Kopf war so schwer, als wäre er aus Blei, und ein höllischer Schmerz hämmerte gegen ihre Schläfen.
In diesem Augenblick klopfte es an der Tür und ohne eine Antwort abzuwarten, traten Harakeke und Tom ins Krankenzimmer. Beide hatten verquollene Augen. Sie wissen es also, durchfuhr es Lucie eiskalt.
Tom wirkte um Jahre gealtert, als er an ihr Bett trat. Seine Hand zitterte, als er ihre Wange berührte, doch dann zog er die Hand zurück, fasste sich ans Herz und stöhnte auf. Er war kalkweiß.
»Schnell, hol den Doktor«, schrie Lucie verzweifelt und sprang auf, um Tom auf einen Stuhl zu helfen, doch kaum dass sie das geschafft hatte, tat ihr Mann seinen letzten Atemzug. Der Arzt konnte nur noch seinen Tod feststellen. Lucie war wie erstarrt. Sie hatte keine Tränen mehr.
»Ich behalte sie über Nacht hier«, sagte der Arzt zu
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