Die Maori-Prinzessin
die Hand.
»Unsinn!«, knurrte sie, bevor sie zu ihrem Kleiderschrank eilte und mit einem einzigen Griff ein grünes Abendkleid hervorholte.
»Und du kannst wirklich nähen?«
Eva wurde noch verlegener. Sie schüttelte bedauernd den Kopf. »Das habe ich eben nur behauptet, um zu überspielen, wie deplatziert ich mir in der groben Winterkleidung vorkomme. Stopfen kann ich und häkeln.«
Lucie lächelte.
»Du bist ganz schön stolz, nicht wahr?«
»Das ist wenigstens etwas, das einem keiner nehmen kann, hat mein Vater immer gesagt!«
»Ein kluger Mann. Mein Tom war auch so geistreich, als wir jung waren und dann …« Lucie stockte und verzog das Gesicht zu einem schiefen Lächeln. »Das mit dem Abendkleid schaffen wir schon. Daran müsste nämlich etwas gemacht werden.«
Lucie legte Eva ein grünes Abendkleid auf den Schoß, dessen Stoff sich ganz wunderbar anfühlte. Begeistert ließ sie ihre Finger darüber gleiten. Seide, dachte sie, ich habe noch nie zuvor ein Kleid aus Seide besessen.
»Es ist wunderschön«, entfuhr es ihr verzückt.
»Es lässt sich etwas daraus machen«, entgegnete Lucie ungerührt. »So kannst du es auf keinen Fall tragen. Es ist zwanzig Jahre alt. In einem derart altbackenen Kleid kannst du unmöglich zu dem Fest gehen, Harakeke ist allerdings eine Zauberin, was Stoffe angeht. Sie wird dir daraus das Kleid des Abends schneidern …«
»Das ist alles so lieb von dir, aber bitte, mach dir keine Mühe. Ich werde einfach auf meinem Zimmer bleiben, denn ich fürchte, dass es ohnehin keine gute Idee ist, wenn ich mitfeiere.«
»Wie kommst du denn darauf?«
Eva stöhnte auf. Sie hatte wenig Lust, Berenices gehässige Worte wiederzugeben.
»Ach, ich habe nur zufällig mit angehört, wie Berenice ihrer Mutter ziemlich deutlich gesagt hat, dass sie mich nirgendwo mit hinnähme und dass Deutsche hier auch nicht gerade willkommen seien.«
»Meine Enkelin hat keinen Schimmer von Politik und hat nur vor einem Panik: dass eine andere Frau ihr Konkurrenz machen könnte. Wenn du ein junger Mann gewesen wärest, ich schwöre dir, meiner lieben Berenice wäre es ziemlich egal, ob du aus Deutschland kämst. Außerdem hat sich diese Abneigung gegen die ›Hunnen‹, wie wir die Deutschen während des Krieges nannten, inzwischen längst gelegt. Verständlicherweise wollten die Pakeha nach dem Ersten Weltkrieg keine Deutschen im Land, aber mittlerweile haben wir seit zwölf Jahren Frieden …«
»Trotzdem, ich habe das Gefühl, ich bringe Unfrieden in diese Familie.«
»Nein, mein Kind, den Unfrieden machen sie sich selbst. Jeden Tag aufs Neue. Ich bin sowohl meiner Tochter als auch meiner Enkelin sowie Doktor Thomas ein Dorn im Auge, weil ich mich einst gegen … Ach, das wirst du früher erfahren, als mir lieb ist, aber nun lass uns beginnen. Wir sollten diesen Tag nutzen, an dem in der Cameron Street Road himmlischer Frieden herrscht. Und mein Kind, mir ist wichtig, dass du alles, was ich dir anvertraue, in deinem Inneren verschließt. Es sind keineswegs nur Heldentaten, die ich dir zu diktieren habe.«
Eva konnte sich ein Schmunzeln kaum verkneifen. Sie konnte sich kaum vorstellen, was diese gütige Frau Schlimmes zu verbergen haben mochte.
Lucie deutete nun auf eine Schreibmaschine, die auf dem Damensekretär stand.
»Kannst du damit umgehen?«
Ein Strahlen huschte über Evas Gesicht, als sie das Gerät näher beäugte. Es war eine deutsche Erika-Reiseschreibmaschine, dieselbe, die sie in Badenheim besessen hatten und die zu ihrem Kummer mit allen anderen Wertsachen zusammen versilbert worden war.
»Ich habe manchmal für Leute im Ort Briefe geschrieben, wenn sie das nicht selbst konnten. Um mir damit Geld für die Architekturbücher zu verdienen.«
Lucie schüttelte den Kopf. »Und so was will den Männern freiwillig den Haushalt führen. Damit wäre deine ganze Schulbildung zum Teufel!«
Eva lief feuerrot an.
»Ich … ich war nur bis zu meinem fünfzehnten Lebensjahr auf der Schule«, stammelte sie verlegen. »Meine Mutter, die … nun, die fiel oft wochenlang aus und da musste ja irgendwer die Arbeit machen …«
Lucie legte ihr die Hand auf den Arm.
»Das war dumm von mir. Es hat nichts mit der Schulbildung zu tun, welchen Weg du im Leben gehst. Bis ich vierzehn Jahre alt war, hatte ich eine Missionars-Schule nicht einmal von Weitem gesehen. Mein Vater weigerte sich damals, mich zu den Missionaren zu schicken, geschweige denn, mich taufen zu lassen. Wenn er gewusst hätte, dass
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