Die Maori-Prinzessin
der Diele des Weinguts vor allen anderen auspacken, behagte ihr nämlich ganz und gar nicht. Sie hatte sich das Anwesen in Meeanee von Lucie in allen Einzelheiten beschreiben lassen und dann ihrer Fantasie freien Lauf gelassen. Lucie, der sie ihr Werk vorhin gezeigt hatte, war in Entzückungsschreie ausgebrochen und hatte versichert, das wäre viel zu schön, um es zu verkaufen.
»Aber bitte heute noch«, erwiderte er mit sanfter Stimme.
»Da bin ich sehr gespannt«, lachte Daniel. »Wollen wir nicht gleich nach oben gehen und es gemeinsam bewundern?«
»Ich nehme dich ja gern überall mit hin, mein liebster Stiefbruder, aber Eva sagte unter vier, nicht unter sechs Augen.« Adrian lächelte so hintergründig, dass Daniel eine gewisse Irritation nicht verbergen konnte.
In diesem Augenblick näherte sich ihnen Berenice. Sie trug ein weit ausgeschnittenes rotes Abendkleid, das ihre weiblichen Rundungen vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie legte den behandschuhten Arm auf die Schulter ihres Stiefbruders und schnurrte: »Daniel, Schatz, kommst du tanzen?«
»Moment!«, erwiderte er kurz angebunden, bevor er sich breit grinsend an Adrian wandte: »Danke, Bruder, für deine freundliche Ausladung. Und ich dachte, wir wären ein Team, aber unter uns, ich würde mir dein Geschenk dann auch lieber unter vier Augen mit Eva betrachten.«
Dann drehte er sich um und führte Berenice zur Tanzfläche.
»Ich wollte ihn wirklich nicht verletzen«, murmelte Adrian. »Es ist nur so, dass er kaum etwas wirklich ernst nehmen kann. Aber ich freue mich sehr, dass du an mich gedacht hast, und kann es kaum erwarten, das Geschenk zu sehen. Was meinst du? Fällt es auf, wenn der Gastgeber für einen Moment verschwindet?«
Eva blickte sich um. Die Gäste schienen sich bestens zu unterhalten.
»Dann komm schnell!«, flüsterte sie.
Sie waren bereits im Flur, als ihnen eine junge Frau mit ausgebreiteten Armen förmlich entgegenschwebte.
»Adrian, wie schön, dich wiederzusehen«, flötete sie mit glockenheller Stimme.
Er blieb wie angewurzelt stehen. In seinem Gesicht stand ungläubiges Erstaunen geschrieben.
»Maggy?«
»Ja, wer denn sonst? So hat mich ja lange keiner mehr genannt. Alle sagen Margret zu mir. Habe ich mich so verändert?«
»Lass sehen«, lachte Adrian und musterte sie von Kopf bis Fuß. »Unfassbar! Vor zwei Jahren warst du ein süßes dickes Kind, jetzt bist du eine englische Lady. Nein, eine Maggy bist du wahrlich nicht mehr, Lady Margret.« Er stieß einen bewundernden Pfiff aus. »Das gibt es doch nicht!«
In diesem Augenblick kam Tante Joanne mit einer feinen Dame ihres Alters am Arm herbeigeeilt.
»Ist es nicht wie die Verwandlung einer Larve zu einem Schmetterling?«, rief Joanne entzückt aus. Die Dame an ihrer Seite lächelte stolz.
Eva beobachtete das Ganze mit gemischten Gefühlen. Sie fühlte sich, als wäre sie gar nicht mehr da. Die junge Frau hatte sie auch noch keines Blickes gewürdigt. Wenigstens Tante Joanne wandte sich ihr nun zu. »Evalein, bist du so lieb und bringst uns ein Tablett mit vier Gläsern Champagner? Ich muss doch das Wiedersehen mit meiner ältesten Freundin gebührend feiern.«
Eva zögerte, bevor sie tat, was ihre Tante von ihr verlangte. Allerdings fühlte sie sich sehr unwohl. Nicht, dass sie sich vor Arbeit im Haushalt scheute, aber sie kam sich plötzlich vor wie eine Angestellte. Das war nicht schwer angesichts der jungen Lady, denn die trug ein elegantes Kleid, das mit Sicherheit nicht in Napier geschneidert worden war. Und das bestimmt nicht aus einem alten Abendkleid gezaubert worden war. Dazu besaß sie einen leicht überheblichen Ausdruck im Gesicht, der ihre Schönheit aber keinesfalls minderte. Im Gegenteil, er passte perfekt zu ihrem vollen hellen Haar, das in großen Locken nach hinten gekämmt war, und ihrem feuerrot angemalten Mund. Eva konnte nichts dagegen tun. Sie kam sich dagegen wie ein Trampel vor.
Trotzdem versuchte sie, Gleichmut zur Schau zu tragen, als sie den Herrschaften das Tablett mit den Gläsern hinhielt.
»Ihr beide kennt euch natürlich noch nicht?«, fragte Adrian und unterbrach für ein paar Sekunden seine Schwärmerei für die junge Lady, um ihr Eva vorzustellen.
»Das ist meine entfernte Cousine. Eva Schindler aus Deutschland. Sie wird eine Zeitlang bei uns leben.«
»Ja, ihr Vater hat ein wenig Pech gehabt und ist nach Amerika ausgewandert. Wenn er dort genug Geld verdient hat, geht unser Evalein nach Hause zurück, nicht wahr?«
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