Die Maori-Prinzessin
Börsenkrachs auch das entlegene Neuseeland erreicht hatten. Ausgerechnet die Bank, auf der Doktor Bertram Thomas sein Geld deponiert hatte, war pleitegegangen. Umso mehr hatte Joanne auf eine Ehe zwischen der vermögenden Margret und Adrian gehofft. Nun war alles zum Teufel. Sie litt seitdem unter Übellaunigkeit und Migräne, zumal alle ihre Versuche, das junge Glück zu torpedieren, erfolglos geblieben waren. Weder Adrian hatte sich von ihr mit der Ermahnung, er müsse an die Familie denken, umstimmen lassen, noch hatte Eva sich unter moralischen Druck setzen lassen. Und als Joanne Eva aus dem Haus hatte werfen wollen, hatte Großmutter Lucie das vehement verhindert.
Trotz all dieser Widrigkeiten konnte an diesem Tag nichts Evas Glück trüben. Das Fenster war weit geöffnet, und sie sog jeden Luftzug ein. Von dem Geld, das ihr Bruder ihr in einem verspäteten Weihnachtsbrief geschickt hatte – Lucies Lohn sparte sie nämlich eisern – hatte sie sich ein paar von diesen modernen kurzen Kleidern und einen Hut gekauft, der ihren Kopf mit dem kürzer geschnittenen Haar vor der Sonne schützte. Sie fühlte sich sehr wohl in diesem modernen Look. Und nicht nur ihr Äußeres hatte sie drastisch verändert, nein, sie hatte sich auch um eine Ausbildung bemüht. Natürlich galt ihre Leidenschaft immer noch dem Gestalten von Innenräumen, doch sie war beileibe nicht so weltfremd, anzunehmen, dass sie eines Tages ihr Geld mit dem Einrichten von Häusern verdienen würde. Am Montag würde sie ihre Ausbildung zur Krankenschwester beginnen. Sie hatte den letzten Platz des neuen Jahrgangs bekommen. Und auch gleich eine Freundin gefunden. Amanda, die sich an demselben Tag vorgestellt hatte wie sie und ein Zimmer im Schwesternwohnheim bewohnte.
Auch wenn es nicht Evas Traumberuf war, so erfüllte es sie dennoch mit Stolz, in Zukunft selbst für sich sorgen zu können. Dass sie beschlossen hatte, in Napier zu bleiben, lag nicht zuletzt daran, dass Adrian seine Pläne, nach Wellington auf die Akademie zu gehen, ebenfalls schweren Herzens aufgegeben hatte. Er behauptete, das wäre in diesen Krisenzeiten ein Luxus, mit dem er womöglich nicht so bald eine Familie ernähren könne. Nun hatte er sich als Lehrer an der technischen Jungenschule beworben. Dort unterrichtete sein einstiger Lieblingslehrer, der fand, Adrian sei prädestiniert, Technik zu unterrichten. Den Direktor der Schule hatte eine Probestunde überzeugt, die er dem begabten Quereinsteiger zugestanden hatte. Und nun sollte er den anderen Lehrern beim Unterricht zugucken und Anfang Februar eine zweite eigene Stunde geben. Danach würde die Entscheidung fallen, doch man hatte ihm bereits signalisiert, dass er die Stelle mit großer Wahrscheinlichkeit bekäme.
Eva stieß einen tiefen Seufzer aus, während sie ihre Badesachen einpackte, wie Adrian es an diesem Morgen ausdrücklich von ihr verlangt hatte. Immer wieder fragte sie sich, wie sich ihr Leben nur binnen weniger Wochen derart einschneidend hatte verändern können. Das einzig Traurige an diesen turbulenten Wochen war die Tatsache, dass sie kaum mehr Zeit übrig gehabt hatte, Großmutter Lucie als Sekretärin zur Verfügung zu stehen. Die alte Dame aber hatte versichert, alles andere sei wichtiger. Nun, da sie bliebe, hätte sie schließlich alle Zeit der Welt, um ihre Erzählung zu beenden. Und jetzt, da Adrian nicht nach Wellington gehe, könne sie ihm das auch zur Hochzeit schenken oder noch besser vermachen, sodass er es erst am Tag ihres Todes in die Hände bekäme. Solche Sprüche konnte Eva allerdings gar nicht gut leiden, und sie hatte Lucie geschworen, dass deren Lebenserinnerungen noch zu ihren Lebzeiten fertig würden. Großmutter Lucie schien es von Herzen zu gefallen, dass Adrian sich in Eva verliebt hatte. Ständig fragte sie aufgeregt, wann denn die Hochzeit stattfinden solle.
Heute Abend, nachdem sie mit Adrian vom Schwimmen zurück war, wollte Eva endlich das, was ihr Lucie beim letzten Mal diktiert hatte, ins Reine tippen.
Großmutter Lucie war vor der bedrückenden Stimmung im Haus mit ihrer Schwester Harakeke für ein paar Tage zur Bold Winery nach Meeanee geflüchtet. Sie wollte dem heißen Sommer in der Stadt entfliehen, hatte sie behauptet, doch Eva vermutete, dass es der alten Frau schwerfiel, die Spannungen zu ertragen, zumal Joanne keine Gelegenheit ausließ, ihre schlechte Laune an ihrer Mutter auszulassen. Was Eva sehr freute, war die Tatsache, dass Großmutter Lucie bei ihrer
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