Die Maori-Prinzessin
ungläubigem Erstaunen ihre Schwester und deren weißes Baby. Schließlich umarmte sie die junge Mutter, so gut es ging, weil sie doch das Kind im Arm hatte. Tränen liefen ihr über das Gesicht.
»Ich habe einen kleinen Neffen«, murmelte sie immer wieder.
»Lass dich anschauen«, sagte Lucie. Harakeke stand auf und drehte sich einmal um sich selbst. Sie trug ein Kleid im Stil der Pakeha, aber sonst war sie ganz die Alte. Sie würde nie jemandem vormachen können, sie sei eine weiße Lady.
»Wie kommst du in diese Straße?«
»Das ist schnell erzählt, aber dasselbe wollte ich dich auch gerade fragen.« Harakeke holte sich einen Stuhl und hockte sich neben das Bett. »Du siehst fremd aus, das Haar und …« Harakeke stockte, als ihr Blick an Lucies Hals hängenblieb. »Du trägst ein Kreuz? Wo ist das Hei-tiki?«
Lucie wurde knallrot. »Ich … ich habe mich meinem Mann zuliebe taufen lassen.«
Harakeke rollte mit den Augen. »Wie gut, dass Vater nichts davon weiß.«
»Der wird es nie erfahren«, entgegnete Lucie hastig und senkte den Blick. Es war ihr, als würde ihr die Schwester auf den Grund der Seele blicken können, wenn sie einander in die Augen sahen. Das war schon früher so gewesen. Harakeke wusste immer, was in anderen Menschen vor sich ging. Und sie wusste auch immer Rat. Wie oft hatten Bedürftige sie aufgesucht, statt zu dem alten Heiler zu gehen. Der hatte davon Wind bekommen und verlangt, dass der Häuptling Harakeke fortjagte. Der aber hatte sich geweigert, seine eigene Tochter zu verstoßen. Allerdings hatte er ihr strikt verboten, dem Heiler weiterhin ins Handwerk zu pfuschen, und ihr befohlen, ihn stattdessen zu heiraten. Einen hässlichen Mann, den keine andere haben wollte, mit einem erwachsenen Sohn Ahuri, der Tiere quälte … Die Hochzeit hatte ein paar Tage nach der ihrer Schwester stattfinden sollen.
»Ich wurde von den Kerlen an einen Mann verkauft, genau wie du! Mich haben sie nach Tauranga verschleppt.«
Lucie hob den Kopf. Das Baby war inzwischen in ihrem Arm eingeschlafen.
»Ich, ja, ich wurde auch verkauft, aber Tom hat mich gerettet.«
»Wer ist Tom? Mister Bold?«
Lucie nickte. »Und du?«
»Mister Dorson hat mich in Tauranga gekauft, aber er hat mir angeboten, dass ich zu meinem Stamm zurückkehren kann. Das hat er schon bei einigen jungen Maorifrauen zuvor gemacht, damit sie wieder nach Hause können.«
»Und warum bist du bei ihm geblieben? Hast du dich auch in ihn verliebt, so wie ich mich in Tom?«
Harakeke wollte sich ausschütten vor Lachen, sodass ihre perlweißen Zähne sichtbar wurden.
»Wo denkst du hin? James könnte mein Vater sein. Wir sind kein Liebespaar. Ich wollte aber nicht zurück, denn ich habe dort keinen Platz mehr. Du weißt, dass Vater mir verboten hat, meine Heilkunst auszuüben. Und ich muss es tun. Als ich erfuhr, dass James unter schwerem Knochenweh, unter Rheuma, leidet, hatte ich die Idee, so lange bei ihm zu bleiben, bis es ihm besser geht. Und meine Mittel haben ihm sehr geholfen. Aus Dankbarkeit hat er mir angeboten, ihn zu heiraten. Er war einmal ein berüchtigter Pelzhändler, der dann dubiose Landgeschäfte mit Maoristämmen gemacht hat. Ich will es gar nicht so genau wissen, aber er ist kinderlos und besitzt ein Vermögen. Und er bestand darauf, dass es einst seiner Heilerin zugutekommt. Ich habe eingewilligt, und dann sind wir von Tauranga hergezogen. Wir haben uns dieses Haus gebaut. Und er hat immer wieder Zipperlein und nicht nur er, sondern auch seine Freunde. Ich kann endlich das machen, wozu ich berufen bin. Das ist alles besser, als die Frau des alten Ekels zu werden, der sich Heiler schimpft!«
»Das ist doch wunderbar«, rief Lucie begeistert aus, wobei ihr die Vorstellung, auf die Liebe zu verzichten, schrecklich erschien.
»Ich weiß, was du denkst. Du denkst, die arme Harakeke wird nie eigene Kinder bekommen. Sie wird nie an den Früchten der Liebe naschen.«
»Nein, nein das habe ich gar nicht gedacht, ich …«
»… ich werde nie so ein Kind auf dem Arm halten. Das ist wahr, aber ich habe doch früher schon immer gesagt, ich würde mich lieber als gute Tante deiner Kinder annehmen.«
Lucie klatschte begeistert in die Hände. »Das würdest du tun? Patin werden für den kleinen …?«
»Wie heißt er?«
Lucie zuckte die Achseln. »Wir haben noch keinen Namen.«
Harakeke strich dem Säugling versonnen über den zarten hellen Flaum. »Die Ahnen haben uns wieder zusammengebracht. Du kannst dich auf mich
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