Die Maori-Prinzessin
ist«, sagte er, während er mit dem Kind das Zimmer verließ.
Tom ergriff Lucies Hand. »Du hast mir ein so schönes Geschenk gemacht. Ist er nicht wunderbar!«
Lucie lächelte. »Und wenn der Erste schon so schön ist, werden es die Nächsten bestimmt auch.«
»Bist du traurig, dass er ein Bold ist und kein angehender Häuptling?«, fragte Tom zärtlich.
»Die Freude überwiegt. So wird er sich niemals fragen müssen, warum er anders aussieht als andere …«
»Du würdest es ihm also nie sagen wollen?«
»Nein, nur, wenn ich ein Kind bekomme, das aussieht wie mein …« Sie unterbrach sich hastig und wischte sich fahrig über das Gesicht. Sie konnte nicht von ihrem Vater sprechen, ohne dass ihr die Tränen kamen. »Solange es sich vermeiden lässt, müssen unsere Kinder nicht erfahren, dass Maoriblut durch ihre Adern fließt.«
»Und wenn sie dich eines Tages fragen, warum deine Haut so viel dunkler ist und dein Haar so dicht und schwarz?«
»Ach, Tom, lass uns heute nicht darüber nachdenken. Kommt Zeit, kommt Rat! Oder wie lautet dieses deutsche Sprichwort, das du mir neulich beigebracht hast?«
Ergriffen beugte sich Tom zu seiner Frau hinunter und gab ihr einen Kuss. »Ich liebe dich«, flüsterte er schließlich.
»Ein kleiner Prachtkerl!«, rief Doktor Thomas aus, als er in diesem Augenblick mit dem Kind auf dem Arm zurückkehrte. »Wie soll er denn heißen?«
Lucie und Tom sahen sich erschrocken an. Sie hatten zwar gelegentlich über Namen gesprochen, waren sich aber nie einig geworden. Lucie fiel es schwer, einem Namen zuzustimmen, der keine Bedeutung hatte. Tom missfielen die blumigen Maorinamen, einmal abgesehen davon, dass sein Kind einen Pakeha-Namen bekommen sollte.
»Solange wir noch keinen Namen für ihn haben, ist er unser Little Tom«, verkündete Lucie rasch. Tom nickte beipflichtend.
Der Arzt gab »Little Tom« seiner Mutter zurück. »Wir lassen Sie jetzt allein. Miss Benson sieht morgen nach Ihnen, aber der kleine Kerl ist putzmunter. Oder soll sie noch bleiben, bis Sie gestillt haben?«
»Nein, nein, nicht nötig. Das schaffen wir schon«, sagte Lucie. Sie wartete, bis Tom die beiden zur Tür brachte, um das Kind an ihre Brust zu legen. Der kleine Kerl schnappte gierig nach ihrer Brustwarze und sog sich daran fest. Als Tom zurückkam, hörte er ein wohlig schmatzendes Geräusch, das wie Musik in seinen Ohren war.
N APIER , J ULI 1875
Lucie konnte sich gar nicht sattsehen an ihrem Sohn. Er war nun einen Tag alt, und sie hatte ihn bis auf die Zeit, in der sie schlief, bei sich im Bett behalten. Tom übernachtete nebenan. Nach dem Aufwachen war Lucie sofort aus dem Bett gesprungen und hatte voller Zärtlichkeit in die Wiege, die Tom selbst gebaut hatte, geblickt. Sie wagte nicht, das Kind herauszunehmen, weil es dann aufwachen könnte. Es war nämlich eine unruhige Nacht gewesen. Für Mutter und Kind. Der Kleine hatte irgendwann mitten in der Nacht angefangen zu schreien und war erst gegen Morgen erschöpft eingeschlafen. Lucie fühlte sich wie gerädert, aber es störte sie nicht. Ihr Sohn sah so friedlich aus, wenn er schlief. Und doch hatte er sich seit gestern verändert. Plötzlich wusste sie, was es war. Seine Gesichtsfarbe war dunkler geworden. Ob nun der Maori in ihm durchbricht?, fragte sie sich. Sie war froh, als in diesem Augenblick ein völlig verschlafener Tom an die Wiege trat.
»Guck mal, er ist dunkler geworden«, sagte sie besorgt.
Tom lachte. »Was du so siehst. Das ist der Schatten des Vorhangs, der ihn dunkler erscheinen lässt.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja, er sieht noch genauso aus wie gestern Abend, als du ihn in die Wiege gelegt hast. Was für ein braver kleiner Kerl!«
»Du hast gar nichts gehört?«
»Nein«, entgegnete er rasch »Aber das kann auch am vielen Wein gelegen haben«, fügte er schuldbewusst hinzu. »Ist er denn aufgewacht?«
»Er hat ganz entsetzlich gebrüllt.«
»Das kann ich mir gar nicht vorstellen. Bisher …« Weiter kam er nicht, weil »Little Tom« sein Gesicht verzog und in ein Mordsgeschrei ausbrach.
»Der hat aber ein Organ«, bemerkte Tom nicht ohne Stolz.
Lucie nahm ihn aus der Wiege und wollte ihn stillen, in der Hoffnung, dass er nur hungrig war, doch er verweigerte ihre Brust und schrie wie am Spieß. Und Lucie konnte sich nicht helfen. Die Hautfarbe des Kindes hatte sich über Nacht verändert und einen gelblichen Ton angenommen. Sie nahm sich vor, es Tom gegenüber nicht noch einmal zu erwähnen, aber nachher
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