Die Maori-Prinzessin
sehr glücklich darüber, dass sie sich freiwillig zu diesem Schritt entschlossen hatte. Welche Rolle Bruder Pierre dabei gespielt hatte, das hatte Lucie ihm vorenthalten. Und auch der Maristenbruder hatte sich in Schweigen gehüllt. Er ahnte auch weder etwas von dem Fluch ihres Vaters noch von ihrem Streit mit Hehu. In seinen Augen war der Maori ein Held. Wie oft schwärmte er davon, wie er an jenem Tag zum Haus zurückgekehrt war und mit ihm die ganze Nacht daran gearbeitet hatte, um das Grab des Häuptlings für alle Zeiten zu verschließen.
Sieben lange Jahre hatten sie darauf warten müssen, bis Lucie nach der Fehlgeburt endlich wieder schwanger geworden war. Manchmal hatte sie vor lauter Ungeduld die Zuversicht verloren und befürchtet, niemals mehr Mutter zu werden. In schlechten Zeiten hatte sie gar fest daran geglaubt, dass der Fluch ihres Vaters sie zur Unfruchtbarkeit verdammt hatte. Mehrmals hatte sie Tom angeboten, ihn freizugeben, damit er mit einer Pakeha eine Familie gründen konnte. Doch er hatte das stets abgelehnt und weiter zu seinem Gott gebetet. Manchmal hatte sie sich auch schwanger gefühlt, aber dieses Glück war stets von kurzer Dauer gewesen. Dann endlich hatte ihr das Schicksal den größten Wunsch erfüllt. Seitdem fühlte sich Lucie wie die glücklichste Frau auf Erden.
Schon seit Stunden rannte Tom in der Diele auf und ab. Bei jedem Schrei, der aus dem Schlafzimmer drang, zuckte der werdende Vater zusammen. Daran konnten auch die beruhigenden Worte des Arztes nichts ändern, den Tom zur Sicherheit ins Haus bestellt hatte. Der aber ließ getrost die Hebamme ihre Arbeit machen und genoss lieber einen guten Wein.
»Nun setzen Sie sich, Tom. Ein guter Vater betrinkt sich, während die Frauen dort drinnen die Arbeit machen. Prost!« Doktor Thomas hob sein Glas.
Tom ließ sich stöhnend auf seinem Stuhl nieder, von dem er sofort wieder aufsprang, als der nächste Schrei seiner Frau durch das Haus gellte. Mit schreckensweiten Augen wandte er sich zu dem Arzt um. »Das ist doch nicht normal. Da ist doch was passiert. Sie stirbt, oder? Ich muss zu ihr …« Doktor Thomas konnte den besorgten Vater gerade noch am Arm packen und auf den Stuhl ziehen. »So und nicht anders ist das Kinderkriegen, alter Junge. Ich fange an, mir Sorgen zu machen, wenn ich nichts mehr höre, aber das da ist Musik in meinen Ohren. Und Sie nehmen jetzt endlich ein Glas. Das ist ein Befehl!« Widerwillig gehorchte Tom den Anordnungen des Arztes und leerte das Glas in einem Zug. »Zufrieden?«, murmelte er.
Doktor Thomas schenkte nach. »Und noch eins!«
Es kostete Tom viel Überwindung, auf seinem Stuhl sitzen zu bleiben, denn bei jedem neuen Schrei durchzuckte es ihn eiskalt. Das ließ erst nach, als sie bei der dritten Flasche angekommen waren. Plötzlich war alles still. Da sprang Tom mit einem Satz auf, doch der Doktor sagte nur: »Zählen Sie bis drei!«
Tom tat, was Doktor Thomas verlangte. Er war gerade bei »zwei«, als Babygeschrei ertönte. Nun hielt ihn nichts mehr. Wie der Blitz war er bei der Tür und stürmte in das Schlafzimmer. Vor dem Bett blieb er ehrfürchtig stehen. Was für ein Bild. Seine geliebte Lucie, der die Anstrengung der letzten Stunden zwar ins Gesicht geschrieben stand, deren Augen aber in einem leuchtenden Glanz erstrahlten, mit dem winzigen Bündel im Arm.
»Oh«, entfuhr es ihm. »Oh.«
»Komm ruhig her, wir beißen nicht«, sagte Lucie leise. Tom näherte sich vorsichtig dem Bett. Nun konnte er das Kind aus der Nähe betrachten.
»Was, was, ich meine, was ist es denn?«, stammelte er.
»Ein Junge.«
Ein Strahlen lief über Toms Gesicht, als er sich ganz dicht über den Säugling beugte. Lucie ahnte, was ihn besonders erfreute. Es war nicht die Tatsache, dass es ein Junge war, denn er hätte auch gern eine Tochter gehabt. Nein, es war das Aussehen des Kindes. Er war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten, hatte hellen Flaum auf dem Kopf, eine helle Haut mit rosigen Bäckchen. Lucie hatte es auch nicht glauben wollen, als ihr die Hebamme das Neugeborene in den Arm gelegt hatte. Dieses Kind sah aus wie ein Pakeha-Junge aus dem Bilderbuch. Natürlich hatte es ihr auch einen kleinen Stich gegeben, dass das Kind nichts von einem Maori hatte, aber ihre Freude überwog.
»Darf ich?«, fragte Doktor Thomas, der sich inzwischen zu ihnen gesellt hatte. Lucie trennte sich nur ungern von dem kleinen Wesen.
»Ich bringe es Ihnen gleich wieder. Nur mal kurz schauen, ob alles dran
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