Die Marionette
Telefonat mit dem Headquarter in Langley. Martinez hatte nicht das erste Mal überlegt, ein für alle Mal der Firma den Rücken zu kehren. Es gab genug private Sicherheits- und Militärunternehmen, die einen Mann mit seiner Erfahrung und Qualifikation ohne weitere Rückfragen nicht nur einstellen, sondern auch sehr gut bezahlen würden. Letztlich hatten sie sich dann doch einigen können. Aber Martinez war klar, dass er sich in letzter Zeit zu viele Feinde machte. ›Deine Rechnung wird länger, Mayer‹, dachte er, als er seinem deutschen Kollegen und Valerie zu dem Wagen folgte, der für sie bereitstand.
***
Calw, Deutschland
Als sie in den Wagen einstiegen, beobachtete Valerie, wie Martinez’ Blick über die dicht bewaldeten Hänge glitt, die den Ort einschlossen. Sie war überrascht gewesen, dass Katja völlig unbemerkt bis fast in die Stadtmitte hatte kommen können, doch Eric hatte ihr erklärt, dass die Bedingungen ideal waren für jemanden, der wie Katja im Guerilla-Kampf ausgebildet war. Valerie war noch immer entsetzt über die Kompromisslosigkeit, mit der die Soldatin vorgegangen war. Ihrer Ignoranz gegenüber Menschenleben.
»Sie befindet sich momentan in einer für sie ganz realen Kriegs- oder Kampfsituation«, sagte Lars Günther. »So, als wäre sie in Afghanistan. Moral und Ethik ordnen sich dabei gänzlich dem Auftrag unter, der zu erfüllen ist.« Seine grünblauen Augen in dem sommersprossigen Gesicht fixierten sie.
Sie ahnte, worauf er hinauswollte. »Sie meinen, es handelt sich für sie um nicht mehr als Kollateralschäden?«
»Auf diese Weise schafft sie Distanz, und das macht sie so gefährlich«, bestätigte Günther ihre Vermutung.
War es wirklich so? Valerie zweifelte an diesem nach Aktenlage gefällten Urteil. Sie hatte Katja kennengelernt, ihr gegenübergesessen und in die Augen gesehen. Mit ihr gesprochen, das letzte Mal erst vor wenigen Stunden. Und genau deswegen hatte sie die Hoffnung noch nicht aufgegeben, die Ex-Soldatin zur Vernunft zu bringen. Katja agierte ihrer Meinung nach wie ein in die Enge getriebenes Tier. Sie kämpfte um ihr Leben. Es musste einen Weg geben, zu ihr durchzudringen, auch wenn sich die Verhandlungsbasis gegenüber den Behörden seit diesem Nachmittag drastisch verschlechtert hatte. Valerie fragte sich, wie sie Katja jemals vor einem Richter gegen all die Anklagepunkte verteidigen sollte, die sich inzwischen auftürmten wie ein Berg: Entführung, Erpressung, Landfriedensbruch, mehrfacher versuchter und zweifacher tatsächlicher Mord. Katja würde lebenslänglich bekommen, und ihre Traumatisierung würde eher zu nachträglicher Sicherungsverwahrung führen als zu einer Verkürzung der zu erwartenden Strafe wegen verminderter Schuldfähigkeit. Die Verhandlungen würden hinter den Kulissen zu führen sein, mit anderen Mitteln. Valerie würde Wege gehen müssen, die sie nicht schätzte. Sie seufzte unwillkürlich.
Noch gab es keine Spur von Katja und Bender, obwohl sofort an allen Ausfallstraßen Kontrollen eingerichtet worden waren. Diese Maßnahme hatte natürlich weitere Spekulationen der Medien nach sich gezogen.
»Ich glaube nicht, dass Katja noch in der unmittelbaren Umgebung ist. Sie hat einen Geländewagen mit Allradantrieb, damit kommt sie trotz der aufgeweichten Böden gut durch den Wald«, hörte sie Martinez zu Mayer sagen, als sie zusammen das Lagezentrum in der Graf-Zeppelin-Kaserne betraten. »Wir sollten die Suche weiter ausdehnen. Wie sieht es mit Luftunterstützung aus?«
»Wir haben Kampfjets der Bundeswehr angefordert, die die Gegend überfliegen und mit Wärmebildkameras absuchen«, antwortete Mayer.
Sowohl er als auch Martinez strahlten eine so selbstverständliche Professionalität aus, dass Valerie eine vage Vorstellung davon bekam, wie ihr Leben normalerweise aussah. Kampfjets. Wärmebildkameras. Eine Welt, die ihr völlig fremd war und in die sie, wenn sie ehrlich war, auch keinen Einblick wünschte. Aber dafür war es längst zu spät.
»Es gibt in Berlin ein paar spitzfindige Journalisten, die anfangen, unangenehme Fragen zu stellen«, mischte sich Schavan ein, der Wetzel am Telefon hatte. »Aber bislang hat niemand den Sprengstoffanschlag in Berlin und die Explosion hier in Calw miteinander in Verbindung gebracht.«
»Und das sollte auch so bleiben«, bemerkte Martinez trocken. »Das Letzte, was wir brauchen, ist ein übermotivierter Trupp Presseleute.«
»Sagen Sie Florian, dass er sich an das Innenministerium wenden
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