Die Marionette
blutverkrustet. Darum würde sie sich gleich kümmern. Sie ging zurück zum Wagen, nahm die leeren Wasserflaschen vom Beifahrersitz und füllte sie an dem Bach und öffnete die Hecktür. Bender hatte die Augen geschlossen, regte sich nicht. Sie ließ Wasser über sein Gesicht laufen, bis er mit einem plötzlichen Keuchen hochschreckte. Dann zog sie ihn an den Rand des Kofferraums, löste seine Fußfesseln und richtete ihn auf. Sie entfernte den Knebel und setzte ihm die Wasserflasche an den Mund, zwang ihn zu trinken. Langsam klärte sich sein Blick und blieb an ihrem blutigen Arm hängen.
Sie drückte ihm die Flasche in seine zitternden Hände und wandte sich ab. Sie war bei weitem nicht so ruhig, wie sie sich gab. Beinahe hätten sie sie erwischt.
Sie werden Sie töten.
Valerie Weymann hatte von der Falle gewusst und sie warnen wollen. Aber wie hatten sie herausgefunden, dass Calw ihr nächstes Ziel war? Jetzt waren alle Brücken abgebrochen, alles, worüber sie mit der Anwältin vor wenigen Stunden noch gesprochen hatte, war nun nichtig, denn diesmal hatte es nicht nur Verletzte gegeben, wie bei der Detonation der Bombe in Berlin. Die Gesichter der beiden Polizisten hinter der Frontscheibe des gepanzerten Fahrzeugs geisterten als undeutliche Schemen durch Katjas Erinnerung, sie hatte gewusst, dass sie sterben würden, wenn sie den Zünder drückte. Und doch hatte es keine andere Möglichkeit gegeben. Es war das Leben dieser beiden Männer oder ihres gewesen. Aus der Ferne hörte sie das Geräusch eines Hubschraubers. Sie blieb unwillkürlich stehen und lauschte. Sie befand sich weit im Westen von Calw inmitten des größten zusammenhängenden Waldgebiets des Schwarzwaldes, und der Nissan stand gut verborgen im Unterholz. Der Hubschrauber kam nicht näher. Sie wandte Bender den Rücken zu und zog vorsichtig ihre Jacke aus. Ignorierte den brennenden Schmerz in ihrem Arm. Noch ein Tag. Es ging nur darum, die nächsten vierundzwanzig Stunden zu überleben. Ihre Mission zu erfüllen. Sie war wieder im Krieg.
***
Landkreis Calw, Deutschland
Wie durch einen Nebel nahm Bender wahr, wie sich Katja Rittmer am Bach wusch. Er wandte den Blick ab, als sie sich zu ihm umdrehte und mit den Fingern ihr feuchtes Haar glättete, zum Wagen ging und in ihrer Tasche nach Verbandszeug wühlte. Die Haut auf ihrem Arm war tief aufgerissen, rotes Muskelfleisch glänzte blutig im Licht. Der Anblick verstärkte seine Übelkeit. Er lehnte sich gegen die Rückbank des Wagens und schloss die Augen. Das kalte Wasser rumorte in seinen Eingeweiden. Er versuchte, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Nachzudenken.
Was war geschehen? War die Ex-Soldatin angeschossen worden? Hieß das, dass die Behörden ihnen auf der Spur waren …?
Er spürte, wie er erneut in die Bewusstlosigkeit glitt, und zwang sich, die Augen wieder zu öffnen. Er schloss seine Finger fester um die Plastikflasche in seinen Händen und atmete gegen seine Benommenheit an. Katja Rittmer hatte sich einen Verband angelegt, den sie mit den Zähnen festzog. Sie streifte ein sauberes T-Shirt und eine Hose über. Routinierte, schnelle Bewegungen. Dann kam sie auf ihn zu.
Sein Herz schlug schneller. Würde sie ihn erneut betäuben? Was würde geschehen, wenn sie starb? Wie lange würde es dauern, bis sie ihn fanden?
Würden sie ihn finden?
Er wollte nicht, dass sie seine Angst bemerkte, die wilde Panik, die plötzlich in ihm aufstieg, und blickte starr an ihr vorbei auf die Schutzhütte. Doch seine Hände verrieten ihn, zitterten unkontrolliert, das Wasser schwappte in der Flasche. Unbeholfen klemmte er sie zwischen seine Beine.
»Es ist bald vorbei«, hörte er sie sagen.
Überrascht sah er sie an. Sie sprach so gut wie nie mit ihm.
»Vorbei?«, wiederholte er fragend, seine Stimme rauh wie Sandpapier.
Sie antwortete nicht.
Sie holte ihren Laptop aus dem Nissan und ließ sich im Schatten der Schutzhütte nieder. Er fragte sich, was sie mit »vorbei« meinte. Seine Gedanken nahmen unerfreuliche Wendungen. Er ertappte sich dabei, dass er über sein Leben resümierte. Rückblenden erlebte. Menschen taten das kurz vor ihrem Tod. Aber er plante nicht, zu sterben. Er würde leben. Überleben. Er musste sich auf die Zukunft konzentrieren. Seine Pläne. Der Umzug nach Berlin. Sein Wechsel in die Politik. Er sah zu Katja. Sie würde ihm keinen Strich durch die Rechnung machen. Erneut erfassten ihn Übelkeit und Schwindel. Durch die ständigen Injektionen, die sie ihm verpasste,
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