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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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dieser Farce spielte. Sie war noch recht jung, aber in ihren Augen lag bereits jener harte Blick, den er schon öfter bei Frauen bemerkt hatte, die sich länger im Dunstkreis der Politik bewegten. In welcher Beziehung stand sie zu Reynolds, der mindestens doppelt so alt war wie sie? Martinez streifte den Senator mit einem unauffälligen Blick. Reynolds war einer dieser verweichlichten Typen mit schwammiger Kinnpartie, wie sie seit Generationen zuhauf die Eliteuniversitäten der Staaten verließen. Bei einem Verhör würde er wimmernd zusammenbrechen, bevor überhaupt die erste Frage gestellt war. Nur dank seines einflussreichen Familiennamens und dem entsprechenden Bankkonto hatte Reynolds es zu dieser Position gebracht.
    Das Fahrzeug bog auf das Gelände der US -Botschaft ein, und Martinez konnte beobachten, wie der Senator auf dem amerikanischen Boden schlagartig seine Selbstsicherheit zurückgewann. Geschützt von NATO -Draht und Soldaten entledigte er sich mit gut inszenierter Lässigkeit seiner schusssicheren Weste und begegnete dem Botschafter Samuel Jespers mit einem jovialen Lächeln. Lediglich die dunklen Schweißflecken unter seinen Achseln straften seine Show Lügen. Jespers und Reynolds kannten sich, begrüßten sich mit Vornamen. Martinez folgte der Abordnung ins Gebäude, wobei er sehr genau darauf achtete, Reynolds’ blonder Begleitung nicht zu nah zu kommen.
    Das Briefing war kurz, die Agenda für die nächsten drei Tage bekannt. Martinez hatte aus Gründen der Sicherheit auf einigen kleinen Änderungen bestanden, die niemand weiter diskutierte. Der Botschafter hielt Martinez jedoch zurück, als die anderen den Raum verließen. »Wir haben soeben erfahren, dass die Delegation der Deutschen heute Morgen ebenfalls in Kabul eingetroffen ist.«
    »Wer ist alles mit von der Partie?«, wollte Martinez wissen.
    »Vertreter des Wirtschaftsministeriums, Journalisten und der CEO der Larenz-Werke, Gerwin Bender.«
    »Ich nehme an, es gibt eine offizielle Reiseroute.«
    Jespers reichte ihm eine Mappe. »Unser Kontakt in Deutschland hat gute Arbeit geleistet.«
    Martinez überflog Unterlagen. »Können wir uns auf Reynolds verlassen?«, fragte er dann mit einem Blick auf den Senator, der im Vorraum mit zwei seiner Mitarbeiter sprach.
    »James Reynolds kann es sich nicht erlauben, noch einen Fehler zu machen«, bemerkte Jespers vielsagend und lächelte.
    Martinez hoffte nur, dass sich der Botschafter nicht irrte.
    ***
    Hamburg, Deutschland
    Katja faltete die Briefe, die vor ihr auf dem Hotelbett lagen und steckte sie zurück in das braune Kuvert, in dem ihre Mutter ihr die Post nach Hamburg nachgeschickt hatte, fuhr mit dem Finger über die akkurate Schrift, ihren eigenen Namen, und fragte sich, was ihre Mutter wohl empfand, wenn sie ihn schrieb. Ob sie dabei an früher dachte? An Sonnenlicht, das auf einen alten blankgescheuerten Holztisch fiel, an Aprikosenkerne und Häute, die sich auf einer zerknitterten Zeitung türmten. Katja sah die vom Saft der Früchte braungefärbten Hände ihrer Mutter. Die kurzen kräftigen Finger, die ihr Leben lang nichts anderes getan hatten, als zu arbeiten. Und sie hörte die Stimme der Großmutter, die wieder einmal von früher erzählte, vom Krieg, vom Aufräumen und vom Neubeginn, die Hand in den Rücken gestemmt, während sie mit der anderen einen Holzlöffel hielt und in dem großen Emailletopf die Marmelade rührte. Auch als Katja schon längst erwachsen und dem Haushalt der beiden Frauen entwachsen war, stiegen diese Bilder noch in ihr auf, ausgelöst durch den Geruch und Geschmack von Aprikosenmarmelade – oder dem Gedanken an ihre Mutter.
    Sie war glücklich gewesen auf dem alten Hof in der Alb in der Obhut der beiden Frauen, zwischen den Tieren im Stall und im geschützten Garten hinter dem Haus. Doch die Idylle hatte Risse bekommen, schwarze, faulige Flecken, die sich ausbreiteten und das feine Gewebe des Glücks auflösten. Die Frauen konnten die Spannung nicht länger vor ihr verbergen, die stetig zwischen ihnen wuchs. Nachts wachte sie auf und hörte sie streiten. Sie hatte sich rausgeschlichen und vor die Tür gekauert. Bei der Erinnerung strich sie unwillkürlich über ihre Füße, die damals vor Kälte ganz erstarrt waren, so lange hatte sie auf nackten Sohlen auf dem alten Steinboden gestanden, in der Hoffnung, dass dieser Schmerz alles andere auslöschen würde, wenn sie ihn nur lange genug ertrug. Eine jener Nächte hatte alle kindliche Unschuld und mit ihr

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