Die Marionette
übermannte sie. »Du darfst mich nicht allein lassen«, stieß sie panisch hervor. »Wir schaffen das zusammen …«
Er schüttelte kaum merklich den Kopf.
Warum habt ihr mich nicht sterben lassen?
Sie schluckte. »Chris … bitte, dann lass mich wenigstens bei dir bleiben.«
»Nein, sie würden nur behaupten, du hättest es getan.«
Verzweifelt biss sie sich auf die Lippe. Versuchte, nichts zu denken, nichts zu empfinden, aber genauso gut hätte sie aufhören können zu atmen. Und dann war da nur noch die eine, alles erdrückende Frage:
Wie würde sich die Welt anfühlen ohne ihn?
Er zog sie an sich. Sie spürte den festen Druck seiner Arme, das gleichmäßige Schlagen seines Herzens, seine Lippen auf ihren Wangen, als er ganz sacht ihre Tränen fortküsste.
***
Kundus, Afghanistan
Eric Mayer ließ den Kopf gegen die Rückenlehne sinken. Das Dröhnen der Rotoren des Hubschraubers machte jede Kommunikation unmöglich. Kabul war nur ein kurzer Zwischenstopp gewesen. Zusammen mit Bender und einigen ausgewählten Journalisten war er gleich nach ihrer Ankunft weiter nach Kundus geflogen. Auf ausdrücklichen Wunsch des Verteidigungsministeriums würde Bender im dortigen Feldlager zu den Soldaten sprechen. Schadensbegrenzung war das Stichwort.
»Ich lege die Organisation der Sicherheitsmaßnahmen in Ihre bewährten Hände, denn ein Zwischenfall ist das Letzte, was wir in der angespannten Lage brauchen können«, hatte Mayers Vorgesetzter zu ihm in Berlin vor der Abreise gesagt. Mayer hatte innerlich geflucht. Wenn die Medien von einem »überraschenden Besuch in einer Krisenregion« berichteten, war ein solcher Besuch in der Regel alles andere als überraschend. Er war gut und gründlich vorbereitet. Niemand riskierte die Sicherheit eines führenden Politikers oder eines prominenten Mannes der Wirtschaft, selbst wenn sie nur für zwei Stunden ein Militärlager besuchten. Die Risiken waren immens, besonders in Afghanistan, und es erforderte eine akribische Vorarbeit, sie zu minimieren. Diesmal war die Zeit jedoch zu kurz gewesen, um vernünftig zu planen und ein entsprechend qualifiziertes Sicherheitsteam zusammenzustellen. Und da Bender mit seinem Besuch in Afghanistan den Fokus der Öffentlichkeit fort von der Krise der Larenz-Werke in Deutschland hin zu den Wohltaten des Konzerns in dem umkämpften Land lenken wollte, würden sie nicht nur ihn schützen müssen, sondern auch das Heer von Reportern, das ihn umschwirrte.
Während Mayers Aufenthalt in Deutschland waren erneut afghanische Zivilisten bei einem Einsatz deutscher Soldaten im Norden des Landes getötet worden. Kinder und Frauen, einige Männer. Zwischenfälle dieser Art vergifteten das Klima und belasteten die ohnehin schon angespannte Lage.
Die meiste Zeit des Fluges von Berlin nach Kabul hatte Mayer mit Telefonieren verbracht. Als er schließlich die Namensliste derer bekommen hatte, die für die Umsetzung der Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung standen, hatten sich seine Befürchtungen bestätigt. Er würde mit Männern arbeiten müssen, die sich nicht kannten und nicht aufeinander eingespielt waren. Und das bei einer überaus ehrgeizigen Agenda. Besuche der Bundeswehrstützpunkte in Kundus und Mazar-i-Sharif standen ebenso auf dem Plan wie eine Stippvisite der Ausgrabungsstätten in Herat, im Süden des Landes, wo die Larenz-Werke die Arbeit der Deutschen Archäologischen Gesellschaft finanziell unterstützten. Ein Treffen mit amerikanischen Militärs und in Kabul Gespräche mit afghanischen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern. Bender wollte an Milan Vieths geleistete Vorarbeit anknüpfen. Vieth war mehrfach im Auftrag der Larenz-Werke in Afghanistan gewesen und hatte federführend mit der afghanischen Regierung über die Ausrüstung der Sicherheitskräfte verhandelt. Er hatte den Boden bereitet für weitere Geschäfte, Kontakte aufgebaut für den Ausbau der Infrastruktur und so mit wichtigen Clanchefs gesprochen. Auf einer solchen Reise hatte Mayer Vieth begleitet, nicht zuletzt, weil er sich ein eigenes Bild von dem Mann machen wollte, der den größten deutschen Investor im Land vertrat. Der BND hatte Vieth minutiös überprüft und festgestellt, dass es nichts gab, was ihn erpressbar gemacht hätte: keine Affären, keine teuren Leidenschaften, keine dunklen Flecken in seiner Vita. Er war sauber und integer. Als Mayer daran zurückdachte, fragte er sich ernsthaft, was einen solchen Mann bewogen haben mochte, sich auf illegale
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