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Die Marionette

Die Marionette

Titel: Die Marionette Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Berg
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das Gespräch mit ihm gesucht hätte. Wäre er heute auch verstümmelt, tot oder ein zitterndes Wrack, von Paranoia und Depressionen gequält? Unsicherheit und Gefahr bestimmten weiterhin sein Leben, aber es war ein anderes Leben, als das der Soldaten im ständigen Kampfeinsatz. Es war ein Leben hinter der Front.
    Mit einem Seufzer schlug er die Decke zurück und setzte sich auf. Das Betäubungsmittel, das ihm Martinez’ Leute injiziert hatten, schien endlich seine Wirkung verloren zu haben. Das Schwindelgefühl und die Übelkeit der vergangenen vierundzwanzig Stunden waren fort. Vielleicht war es auch einfach nur der fehlende Schlaf gewesen, der ihn so aus der Bahn geworfen hatte. Er ging ins Bad und wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser, um gänzlich zu sich zu kommen. In der Küche fand er im Kühlschrank eine noch unangebrochene Flasche Mineralwasser. Er trank sie beinahe in einem Zug leer. Eine zweite nahm er sich zusammen mit einem Glas mit ins Wohnzimmer. Durch das gekippte Fenster hallten die Geräusche der Stadt über die weite Fläche der Alster zu ihm herüber. Er hatte vergessen, wie lang die Abende in Hamburg um diese Jahreszeit bereits waren. Wie lichtblau die schier endlose Dämmerung, gefolgt von einer kurzen Nacht. Jenseits des Wassers konnte er zwischen den Bäumen hindurch die obere Etage des Hotels Intercontinental sehen, ein Stück weiter befand sich das weiße Gebäude des amerikanischen Konsulats. Er hatte gehört, dass die Stadt den Dammtorbahnhof wieder aufgebaut und die Narben aus ihrem Antlitz getilgt hatte. Nichts erinnerte angeblich mehr an das Bombenattentat vor anderthalb Jahren außer einer Gedenktafel auf der Rückseite des Gebäudes. Es war schwer vorstellbar, wenn er sich den Anblick des zerborstenen Dachs der alten Bahnhofshalle ins Gedächtnis zurückrief, die Berge von Schutt, bedeckt von leise fallendem Schnee.
    Das Geräusch eines Schlüssels in der Wohnungstür unterbrach seine Gedanken, und er dachte unwillkürlich, dass es Erinnerungen gab, die sich nicht so leicht tilgen ließen, auch wenn die Menschen sie gut zu verdrängen wussten. Valerie betrat den Raum und lächelte, als sie ihn sah. Er ahnte, dass ihr Wiedersehen und seine Gegenwart dunkle Erinnerungen in ihr ausgelöst hatten. Bei ihrem letzten Treffen, jenem Essen im französischen Restaurant, hatte er versucht, mit ihr darüber zu sprechen, aber sie hatte jegliche Diskussion im Keim erstickt. Auch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt. Er blickte in ihr Gesicht, in ihre grauen Augen, die so viel Härte, aber auch so viel Verletzlichkeit ausstrahlen konnten. Sie hatte ihm erzählt, dass es Meisenberg gewesen war, der sie in die Larenz-Affäre hineingezogen hatte, nachdem er erfahren hatte, dass Eric Mayer seitens der Regierung mit den Ermittlungen beauftragt worden war. Der Mann war wie eine Spinne. Undurchsichtig, kaum zu greifen, da er nur hinter den Kulissen agierte, und skrupellos genug, selbst die langjährige Partnerin in seiner Sozietät für seine Zwecke zu benutzen. Mayer hatte ihm noch nie getraut. Und nun war Valerie viel zu tief verstrickt in die Affäre, wusste zu viel, um sich gefahrlos zurückziehen zu können. Er hätte ihr das gern erspart.
    Er nahm ihr die Tüten aus der Hand, die den Aufdruck eines exklusiven italienischen Restaurants trugen, und sie holte Teller und Gläser aus der Küche. »Hast du etwas von Katja gehört?«, fragte er, als sie zurückkam.
    Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe vergeblich versucht, sie zu erreichen, und auch Florian Wetzel konnte mir nichts Neues sagen.« Sie sah ihn über den Tisch hinweg an. »Du machst dir Sorgen um sie.«
    »Katja ist eine erfahrene Elitesoldatin, ausgebildet, um zu töten, und sie befindet sich in einer psychischen Ausnahmesituation«, erwiderte er. »Der Mann, den sie heiraten wollte, ist gerade gestorben, und sie selbst ist schwer traumatisiert …«
    »Glaubst du nicht, dass sie sich in einer solchen Gemütslage eher zurückzieht?«
    »Nicht Katja«, sagte er und dachte unwillkürlich an Somalia. Er schob seinen Teller beiseite, griff nach der Tasche mit seinem Laptop und nahm den Computer heraus. Seine Zugänge zum Netzwerk des BND waren alle gesperrt, aber das war es auch nicht, was er wollte. Auf einem seiner privaten E-Mail-Konten hatte er eine Adresse von Katja gespeichert.
    »Du schreibst ihr?«, fragte Valerie.
    Er nickte. »Vielleicht antwortet sie.«
    Valerie beobachtete ihn schweigend. »Ich habe auch noch ein paar gute

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