Die Marionette
wiedererkannt, sich erinnert, sie gesehen zu haben, als sie den Geländewagen am gestrigen Nachmittag abgestellt hatte.
»Haben wir ein Fabrikat?«, wollte Mayer wissen.
»Vermutlich ein Hyundai oder Nissan. Keine der gängigen deutschen Marken.«
»Kennzeichen?«
Wetzel verneinte. »Aber wir haben mit den vorliegenden Informationen schon mal eine bundesweite Fahndung rausgegeben.«
Mayer warf einen Blick auf seine Uhr. Es ging auf halb acht Uhr morgens zu. Keiner von ihnen hatte in der vergangenen Nacht ein Auge zugetan. Die Nachricht von der Entführung Gerwin Benders war wie eine Schockwelle durch die Republik gerast. Die Sonntagsausgaben der Zeitungen waren voll davon, die Radio- und Fernsehsender brachten Features über Leben und Werk des Wirtschaftsbosses, die schon fast einem Nachruf gleichkamen. Die Mutmaßungen über die Beweggründe der Entführung kamen gefährlich nah an die Wahrheit heran, obwohl keine der offiziellen Stellen das jemals bestätigt hätte. Und nur wenige Stunden nach Benders Entführung hatte der Wirtschaftsminister inoffiziell angekündigt, am Montagmorgen seinen Rücktritt bekanntzugeben. Eine Regierungskrise drohte. Diese Entwicklung kam für Mayer nicht überraschend nach dem Gespräch, das er zusammen mit Valerie Weymann, Paul Clarke und dem Wirtschaftsminister geführt hatte. Hochrangige Mitarbeiter des Ministeriums hatten Benders illegale Geschäfte aktiv unterstützt und so dem Vorstandsvorsitzenden der Larenz-Werke den Rücken freigehalten. Der Minister sah sich gezwungen, die Verantwortung zu übernehmen und seinen Posten zu räumen.
Das Telefon klingelte. Schavan ging ran, reichte den Hörer aber sofort an Mayer weiter. »Das Bundeskanzleramt für Sie«, sagte er nur.
Mayer runzelte die Stirn. In einer knappen Dreiviertelstunde gab es eine Sondersitzung des Kabinetts. »Wir haben noch keine neuen Erkenntnisse«, musste Mayer eingestehen.
»Sind Sie ganz sicher, dass es sich um einen Einzeltäter handelt und nicht doch eine Gruppe dahintersteckt?«, drängte der Leiter des Bundeskanzleramts. »Wir können uns hier kaum vorstellen, dass eine einzelne Person und zudem eine Frau eine solche Tat ohne Unterstützung plant und ausführt …«
»Es gibt keinen terroristischen Hintergrund«, erwiderte Mayer ruhig, während er beobachtete, wie Schavan einen weiteren Anruf annahm. »Und wir haben es mit einer Elitekämpferin zu tun, die schon unter extremeren Umständen gearbeitet hat.«
Schweigen am anderen Ende.
Schavan reichte ihm einen Zettel. Mayer starrte darauf. »Ich melde mich sofort bei Ihnen, wenn wir neue Ermittlungsergebnisse haben«, sagte er und legte auf. Den Zettel noch immer in der Hand, wandte er sich an den BKA -Beamten. »Ein Einbruch in ein Munitionsdepot? Wann? Wo?«
»Vor zwei Tagen in Nordhessen.«
»Warum erfahren wir das erst jetzt?«
»Der Informationsfluss zwischen Landes- und Bundesbehörden ist problematisch«, erwiderte Schavan.
»Was wurde gestohlen?«
»Sprengstoff.«
»Der vermutlich identisch ist mit dem Stoff, den Katja Rittmer für die Sprengung des Gasthofs verwendet hat.«
»Ich habe bereits veranlasst, dass das untersucht wird.«
Das Telefon klingelte erneut. Diesmal war es der Pförtner. Don Martinez war da.
***
Berlin, Deutschland
Die Stimmung war nicht gut. Martinez spürte es in dem Moment, als er den Raum betrat. Eric Mayer verbarg seine Anspannung hinter einem Lächeln, als er ihn begrüßte, aber Martinez ließ sich nicht täuschen.
»Wie ist der Stand der Ermittlungen?«, fragte er.
»Wir haben nichts«, antwortete Mayer leise. »Nichts außer vierzig Kilo verschwundenem C4.«
»Keine Nachricht, kein Versuch der Kontaktaufnahme?«
Mayer schüttelte den Kopf.
»Das ist nicht gut«, bemerkte Martinez. »Das ist gar nicht gut. Sie kennt das Spiel, sie weiß, dass ihr auf eine Reaktion von ihr wartet.« Er stellte seinen Rucksack ab und sah sich um. »Und es ist absolut sicher, dass sie den Sprengstoff hat?«
»Wir haben gerade die Rückmeldung bekommen, dass er identisch ist mit den Überresten, die wir an dem verlassenen Gasthof gefunden haben, den sie vor anderthalb Tagen in die Luft gesprengt hat.«
Martinez strich sich nachdenklich über den glattrasierten Schädel. »Was sagen die Psychologen?«
»Laut ihrem Persönlichkeitsprofil wird sie keine Außenstehenden gefährden.«
»Glaubst du das? Du kennst sie.«
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich sie noch kenne. Sie hat sich verändert. Vor ein paar Tagen
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