Die Marionette
hätte sie mich beinahe erschossen. Sie ist besessen von ihrem Rachefeldzug. Ich werde mich bestimmt nicht auf ein psychologisches Gutachten verlassen, das nach Aktenlage gemacht wurde.«
»Was ist mit Bender?«
»Vielleicht ist er schon tot.«
»Wäre nicht schade um ihn«, warf Martinez ein. »Aber ich glaube es nicht. Er ist zäh.«
Mayer warf einen Blick auf die Uhr. »Wir treffen uns in einer Viertelstunde mit dem gesamten Krisenstab. Du solltest dabei sein.«
»Deshalb bin ich hier«, erwiderte Martinez.
»Um die Kastanien aus dem Feuer zu holen?«, fragte jemand hinter ihm.
»Excuse me?«
Martinez wandte sich um und blickte in das Gesicht eines hageren, grauhaarigen Mannes. Martinez erinnerte sich an ihn. Vor anderthalb Jahren waren sie im Rahmen der Sicherheitsmaßnahmen für den Klimagipfel gezwungen gewesen, miteinander zu arbeiten. Das war nicht ganz problemlos gewesen, und er spürte auch jetzt das Misstrauen, das ihm entgegenschlug.
»Jochen Schavan, wir kennen uns bereits«, stellte sich der BKA -Beamte vor. »Und ich fragte, ob Sie hier sind, um die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Schließlich hat Ihre Regierung Katja Rittmer überhaupt erst ins Spiel gebracht.«
»Es ist richtig, dass wir Katja Rittmer nach Deutschland gebracht haben«, erwiderte Martinez ruhig. »Wir haben sie ausgerüstet und mit dem Personenschutz von Milan Vieth beauftragt. Vieth war einer unserer wichtigsten Zeugen und Informanten im Fall Reynolds, und sein Leben war massiv bedroht.« Er senkte die Stimme. »Ich sage Ihnen das im Vertrauen. Offiziell werde ich jede Beteiligung meiner Regierung abstreiten. Offiziell hat es nie einen Kontakt gegeben.«
»Reynolds ist also definitiv für Vieths Tod verantwortlich?«, hakte Jochen Schavan nach.
Martinez zuckte mit den Schultern. »So wie Bender für den Tod von Reynolds verantwortlich ist.«
Schavan runzelte die Stirn. »Können Sie das beweisen?«
»Haben
Sie
Beweise für
Ihre
Vermutung?«
Schavan schwieg, und Martinez entging nicht Mayers Ungeduld angesichts dieses Wortgefechts.
»Wir haben lange Erfahrung mit Elitekämpfern«, sagte Martinez in versöhnlichem Ton zu Schavan. Er tippte sich mit dem Finger an die Stirn. »Wir wissen, wie sie ticken. Deshalb bin ich hier.«
»Vierzig Kilo Plastiksprengstoff ist nichts, was man im Koffer mit sich herumträgt«, erklärte der Sprengstoffexperte wenig später den Mitgliedern des Krisenstabs. »C4 ist leicht zu handhaben, wird viel im militärischen Bereich verwendet und ist nur aufzuspüren, wenn Metall oder Geruchsstoffe eingearbeitet sind …« Er schaltete einen Beamer ein. Die Jalousien vor den Fenstern fuhren herunter. Irgendwo brummte eine Klimaanlage.
Vierzig Kilo C4.
Holy shit!
Was hatte Katja Rittmer damit vor? Martinez sah sie wieder vor sich. Die kurzen blonden Locken, durch die der Wind fuhr. Ihre Augen. Er hatte nie wieder eine Frau mit so meerblauen Augen getroffen. Sie war den Männern immer einen Schritt voraus gewesen. Nur so hatte sie zwischen ihnen bestehen können, Akzeptanz gefunden.
Laut ihrem Persönlichkeitsprofil wird sie keine Außenstehenden gefährden.
Bei der Menge Sprengstoff konnte er sich das nur schwer vorstellen. Martinez wusste aus eigener Erfahrung, was der Krieg aus Menschen machte. Einer seiner ältesten Weggefährten hatte sich nach seinem Einsatz im Irak in ein paranoides Wrack verwandelt. Hatte Schützengräben im eigenen Garten ausgehoben und auf seine Nachbarn geschossen, bevor er sich schließlich das Leben genommen hatte. Mayer hatte diese Symptome bei Katja Rittmer gesehen und richtig verstanden. Die beiden waren viele Jahre ein Team gewesen, hatten einander in ihrer Spezialeinheit blind vertrauen müssen. Martinez fühlte sich unwillkürlich an seine eigene Armeezeit erinnert. Die Navy Seals waren eins der amerikanischen Vorbilder für die Gründung des KSK gewesen. Es hatte Rituale gegeben und eine klare Abgrenzung nach außen. Eine Zeit, die von den meisten Soldaten glorifiziert wurde, obwohl sie tatsächlich nur blutig, brutal und von einem einzigen Ziel geprägt gewesen war: Nicht zu sterben. Den nächsten Tag zu erleben. Er hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, ob sich eine solche Belastung auf die weibliche Psyche anders auswirkte als auf die männliche. Er erinnerte sich, dass es auch für ihn, nach Ende seiner aktiven Zeit an der Front, nicht unproblematisch gewesen war, das eigene Leben wieder in die Hand zu nehmen und weiter zu planen als für die
Weitere Kostenlose Bücher