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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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wie ein Mann, der sich in die Enge getrieben sieht. Vielleicht verfügte er doch über eine bessere Übersicht als all jene Offiziere, die in den vergangenen Tagen nur vom drohenden Unheil gesprochen hatten. Es gab ja auch frohe Nachrichten. Zum Beispiel, daß die Württemberger unerwarteten Zuwachs erhalten hatten. An diesem Morgen war unter Oberst von Cornotte ein Marschbataillon mit mehr als tausend Mann aller Waffengattungen in Moskau eingetroffen. Es handelte sich dabei um die zahlreichen Verwundeten und Kranken aus den Feldspitälern von Smolensk, Krasnoë, Maliaty, Wiazma und Gziat, die wieder genesen waren und die württembergische Division auf beinahe 1500 Mann anschwellen ließen. Von einstmals fast 16.000, dachte Gerter betroffen. Wie viele werden in die Heimat zurückkehren?
    Beunruhigt sah er einen Boten durch die Reihen auf den Kaiser zueilen. Es mußte sich um eine sehr wichtige Nachricht handeln, da sie während der Musterung zugestellt wurde.
    Napoleon riß dem Boten den Brief aus der Hand, brach das Siegel auf und stieß einen Schrei aus, der Gerter das Mark in den Knochen gefrieren ließ. Die gute Laune des Kaisers war dahin.
    »Barbarischer Verrat!« tobte er. »Die Russen haben mitten im Waffenstillstand den König von Neapel überfallen!«
    Den Rest konnte Gerter nicht hören, denn es entstand erhebliche Unruhe, als Napoleon augenblicklich die Musterung einstellte. Die Truppen wurden ohne weitere Erklärung zurück in ihre Quartiere geschickt.
    Gerter wartete, bis Eugen von Röder mit General von Scheeler gesprochen hatte und ging dann auf den Oberst zu. Niedergeschlagen berichtete dieser, daß das 4. Armeekorps in den frühen Morgenstunden beim Dorf Tarutino hinterlistig angegriffen und von einer überlegenen feindlichen Macht umzingelt worden sei.
    »Aber Murat hat sich mit einer Tapferkeit geschlagen, die nicht viele von ihm erwartet haben«, sagte der Oberst. »Er setzte sich an die Spitze seiner Reiterei und stürzte dem russischen Fußvolk entgegen.«
    »Aber gewonnen hat er nicht«, bemerkte Gerter.
    Der Oberst schüttelte den Kopf.
    »Das war auch unmöglich, Murat hatte nur 25.000 Mann, die Russen aber mehr als 60.000. Er mußte sich kämpfend zurückziehen. 3000 Polen und Franzosen wurden getötet und verwundet, 2000 gefangengenommen, und außerdem sind den Russen 26 Kanonen und das ganze Gepäck des Königs und der Armee in die Hände gefallen. Wissen Sie übrigens, wer dafür gesorgt hat, daß der König von Neapel nicht gefangengenommen wurde?«
    Ein kleines Lächeln spielte um Eugen von Röders Mund.
    »Unser württembergischer Kavallerieleutnant von Tungern!«
    Seine Lippen wurden wieder zu einem dünnen Strich. »Aber General Dery, der Adjutant des Königs, wurde von einer Kugel tödlich getroffen. Ebenso der polnische General Fischer.«
    Beunruhigt beobachtete Juliane, wie mit einem Mal die Truppen auseinanderstoben und fast panisch wieder zu den Toren strömten. Sie rannte in die Küche, wo sie nicht nur Felix, Marja und Pjotr beim Teetrinken antraf, sondern auch die alte Matka. »Irgendwas ist passiert, die Musterung ist schon zu Ende!« rief sie atemlos und wunderte sich, daß das Grüppchen am Tisch ganz still in gespannter Haltung sitzen blieb.
    Sie sehen aus wie Verschwörer, ging es ihr durch den Kopf; was macht die alte Matka hier?
    »Hast du Brot mitgebracht?« fragte sie, weil sie sich nicht vorstellen konnte, was die mürrische Alte anderes in der Palastküche zu suchen hätte. Felix deutete auf die Anrichte unter dem Fenster, wo zwei Laibe Brot auf einem Brett lagen. Juliane schnitt sich hastig ein Stück ab und stopfte es sich in den Mund.
    »Hat geschossen?« fragte Pjotr. »Napoleon?«
    »Nein, nein«, erwiderte sie. »Niemand hat Napoleon erschossen … jedenfalls habe ich keine Schüsse gehört«, setzte sie hinzu und dachte, vielleicht ist er ja erdolcht worden, vielleicht ist Napoleon tot.
    »Was passiert, wenn Napoleon getötet wird?« wandte sie sich an Felix.
    »Dann alle frei!« strahlte Marja.
    Matka erhob sich mühsam und schlurfte ohne ein Wort des Abschieds aus der Küche.
    »Wo hat sie das Getreide her?« wunderte sich Juliane. Sie sah zu Felix, der mit einem so verlorenen Blick ins Nichts starrte, daß Juliane fürchtete, der kleine breitschultrige Diener habe den Verstand verloren. Pjotr stand auf, ging um den Tisch herum zu Felix, reichte ihm die Hand und schüttelte mit einem kleinen Lächeln den Kopf. Nach kurzem Zögern ergriff Felix die Hand,

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