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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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Pistole zitterte. Langsam senkte sich der Lauf. Sie schob den Hahn nach vorn und ließ die Waffe auf den Marmorboden fallen. »Johannes …«
    Tränen liefen über ihre Wangen, als er sie wieder an sich zog und ihr zärtliche Worte ins Ohr flüsterte. So fand Matthäus die beiden, als er ins Speisezimmer trat und Juliane zur Eile auffordern wollte. Gerter ließ die schluchzende Juliane nicht los, sondern blickte über ihren Kopf dem Korporal fest in die Augen. »Die Goldpuppe ist verschwunden«, sagte er.
    »Ach, mein armes Mädchen«, sagte Matthäus hilflos und trat näher. Sanft faßte Johannes Juliane um die Taille, drehte sie um und schob sie ihrem Mann in die Arme.

 
Untergang
    Aus dem Tagebuch von Johannes Gerter:
    Oktober 1812
    In Folge der immer mehr beengten Lage und der fehlgeschlagenen Hoffnungen auf Friedensverhandlungen wurde beschlossen Moskau zu verlassen und den Rückzug anzutreten. Die Einleitung zu demselben machte der seltsame Befehl an das Heer sich auf 20 Tage mit Brod zu versehen!? wozu aber nichts als – Mehl fehlte! – Am frühen Morgen des 19ten Oktobers, eines heiteren Herbsttages, verließ Napoleon mit der Armee Moskau. Obschon von morgens 2 Uhr an der Ausmarsch des Heeres gedauert hatte, so drangen gegen Mittag noch immer Massen aus den Thoren der halb in Schutt liegenden Stadt hervor: in unabsehbaren Reihen zogen sie sich auf der breiten Heerstraße hin. Nicht nur die Zahl der Krieger bildete den unermeßlichen Zug, sondern auch die unzählbaren Mengen von Wagen mit reicher Beute an Gold, Silber, Edelsteinen und Pelzwerk der kostbarsten Art. Von Habsucht geblendet, vergaßen die meisten, daß der Weg von Moskau nach Paris fast tausend Stunden weit ist; und – abgesehen von dem beutelustigen Feinde – wären wohl die Axen vermögend gewesen, die Massen dieser hoch belasteten Wagen so weit zu tragen? Mißfällig sah der Kaiser diesen ungeheuren Troß; doch wollte er nicht durch einen Machtspruch dem Soldaten, der zwei Drittel Europas mühselig durchwanderte, den Lohn der vielfach versprochenen Beute entziehen. – Ein großer Theil der zahllosen Fuhrwerke, die aus Moskau zogen, mußten unterwegs stehen bleiben und gaben dem auf dem Fuße nachziehenden Feinde schon reichlich Beute. Zudem vermehrte sich dieser Troß des Heeres – als wir bei Mosaizk die große Straße erreichten – durch einen neuen Zuwachs von einigen hundert Familien deutscher und französischer Kaufleute, Künstler, Hofmeister und Sprachlehrer, die früher in Moskau angesiedelt waren, bei der Annäherung ihrer Landsleute aber die Stadt nicht verlassen hatten und nun sammt ihrer Habe lieber mit dem französischen Heere abzogen, um das Schicksal desselben zu theilen , als sich der grausamen Rache der wiederkehrenden Russen auszusetzen. Dieser Zusatz von nicht wehrfähigen Menschen und deren zahlreiches Gepäcke, vermehrte nur die bereits vorherrschende Verwirrung. Nun ging es von Moskau ›rückwärts‹, mit Eintritt des fürchterlichen nordischen Winters; die Summe aller Leiden sollte nun beginnen und in immer schrecklicherer Steigerung das schönste und zahlreichste Heer, das die Welt je gesehen, auf russischer Erde vertilgen!
    Die verschwundene Goldpuppe ließ Julianes Zukunftsträume platzen. Während alle anderen in großer Eile das Nötigste zusammenpackten, zog sie sich in die Dachstube zurück, von deren Fenster aus sie den Kreml sehen konnte. Es ist alles vorbei, dachte sie immer wieder, und nicht einmal der Gedanke an den mit Lebensmitteln beladenen Wagen im Kutschhaus tröstete sie. So viel Gold wie hier in Moskau werde ich nie im Leben wieder sammeln können, es ist alles umsonst gewesen. Sie glaubte nicht wirklich, daß Gerter ihre Goldpuppe gestohlen hatte, aber sie verdächtigte Marja, Pjotr und Felix. Nur half ihr das auch nicht weiter. Wer immer sich ihre Goldpuppe angeeignet hatte, würde sie nicht herausrücken – ebenso wenig wie sie es getan hätte, wäre ihr so ein Schatz in den Schoß gefallen. Eine laute Explosion ließ die Erde wanken. Sie hob den Kopf, drückte die Nase an die Fensterscheibe und hielt den Atem an. Der Kreml stand in Flammen! Jemand mußte die unter den Mauern und Kirchen des Kreml angelegten Minen entzündet haben, von denen Gerter berichtet hatte.
    »Wir müssen schnell los!« Matthäus war in die Dachstube gestürzt, packte Juliane an der Hand und zog sie die Treppen hinunter.
    »Vergiß deine Goldpuppe! Es ist schlimm, sehr schlimm, aber wenn wir nicht sofort

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