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Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
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und Juliane sah etwas wie Dankbarkeit in seinem Blick. Sie blickte zu Marja, die sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel wischte, und weil sie die Spannung in der Luft spürte und ahnte, daß sie mit einem falschen Wort eine Explosion herbeiführen könnte, wagte sie nicht zu fragen, was vor ihrem Dazukommen geschehen war.
    Wenig später kam Matthäus. Juliane bestürmte ihn mit Fragen, aber er winkte nur müde ab. Nichts habe er dahinten mitgekriegt, nur, daß es irgendwo eine empfindliche Niederlage für die Große Armee gegeben habe. Alles sei in größter Aufregung.
    »Wir müssen auf den Herrn Oberleutnant warten«, sagte er und biß gedankenverloren in das Stück Brot, das ihm Juliane reichte.
    »Brot!« sagte sie ungeduldig. »Merkst du denn gar nicht, daß wir wieder Brot haben?«
    Er zog sie auf seinen Schoß und sie achtete darauf, ihr Gewicht so zu verteilen, daß sein verletztes Bein geschont wurde.
    »Wenn wir nur einander haben, ist mir alles recht«, murmelte er.
    Er barg sein Gesicht an ihrer Brust und sie schlang die Arme um ihn. Sollte sie es ihm sagen? Nein, sie würde warten, bis sie ihrer Sache sicher war.
    Johannes kehrte erst spät am Abend in den Palast zurück.
    »Es ist soweit. Wir müssen aufbrechen«, sagte er, nachdem er alle in den Salon gerufen hatte.
    »Wann?« fragte Felix.
    »Sofort.«
    Er reichte Matthäus ein Papier.
    »Bitte übersetze das den anderen.« Mit gerunzelter Stirn entzifferte der Korporal den Text und las dann stockend vor:
    »Soldaten! Unvorhergesehene Ereignisse bestimmen mich, morgen, den 19. Oktober, mit der Armee Moskau zu verlassen, um diese in die wohlverdienten Winterquartiere zu führen. Freundschaftlich gesinnte Völker, die wir befreit haben, werden uns mit Liebe empfangen und mit Wohltaten überhäufen …« Juliane schnaubte verächtlich, aber Matthäus las unbeirrt weiter: »Finden wir die Russen auf unserem Wege, so werden wir sie schlagen; finden wir sie nicht, desto besser für sie!« Es war so still im Salon, daß man das Knistern des Kaminfeuers im Speisesaal hören konnte. Juliane brach das Schweigen: »Und was ist, wenn sie uns finden, die Russen?«
    »Dann gnade uns Gott«, antwortete Felix.
    Johannes sah seinen Diener nachdenklich an, klatschte dann in die Hände und rief: »Auf geht's, wir haben keine Zeit zu verlieren! Felix, pack meine Sachen, Assenheimerin, belad deinen Wagen, Marja und Pjotr, macht uns zum letztenmal was zu essen, Matthäus, reite in die Vorstadt zu unseren Soldaten und sorg dafür, daß die Leute abmarschbereit sind. Sie sollen nicht zuviel mitnehmen, es wird ein langer, beschwerlicher Marsch werden. Napoleon hat befohlen, überflüssige Wagen zurückzulassen.«
    Er erwähnte nicht, daß Napoleon einen seiner eigenen Wagen hatte verbrennen lassen, um mit gutem Beispiel voranzugehen.
    »Herr Oberleutnant«, Matthäus fand es an der Zeit, wieder formell zu werden, »der Kaiser kann den Soldaten nicht verbieten, Beutegut mitzunehmen. Das ist doch der einzige Lohn, den sie gekriegt haben …«
    »… und läßt er etwa die Zarenkrone hier?« fragte Juliane.
    »Schnell«, befahl Gerter, »wir müssen uns beeilen …«
    Heftiges Pochen am Portal unterbrach ihn. Felix öffnete und kehrte mit Hauptmann von Klapp und Hauptmann von Breda zurück.
    »Das Regiment von Oberst von Röder ist unter meinen Befehl gestellt worden«, erklärte Hauptmann von Klapp. »Wir marschieren in den Morgenstunden ab.«
    »Wieviel Mann sind es noch?« fragte Matthäus und erschrak, als er vernahm, daß das gesamte Regiment nur noch aus 80 Soldaten bestand.
    »Beim 3. Jägerregiment Herzog Louis sieht es noch schlimmer aus«, sagte der Hauptmann leise. »Nur noch 25 Mann. Am besten geht es der Artillerie, da lebt noch fast die Hälfte der Mannschaft – ungefähr 500 Leute.«
    »Nur die Hälfte!« rief Juliane entsetzt. »Und das finden Sie erfreulich!«
    Beinahe mitleidig sah der Hauptmann die Marketenderin an. »Assenheimerin«, sagte er, »weißt du noch, mit wie vielen Soldaten die Große Armee losgezogen ist?«
    »Mit 600.000?« überlegte sie.
    Er nickte. »Und 500.000 Männer sind bereits auf der Strecke geblieben. Rechne dir selber aus, wie viele noch übrig sind.«
    »An die Arbeit!« scheuchte Gerter alle auf. »Es gibt viel zu tun!«
    Hauptmann von Breda war inzwischen in den Speisesaal gewandert und sah sich mit großen Augen um.
    »Es hat nicht viel Sinn, das chinesische Porzellan mitzunehmen«, meinte er bedauernd, als Gerter

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