Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Marketenderin

Die Marketenderin

Titel: Die Marketenderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
siebenten württembergischen Infanterie-Regiments, das die Stadt Minsk besetzt gehalten hatte. Nachdem die Russen die Stadt zurückerobert hatten, war das Regiment von 1400 auf 150 Mann zusammengeschrumpft. Mit begeisterten Rufen wurde Gerter empfangen und in der Aufregung des Wiedersehens verlor er Felix aus den Augen.
    »Ob sich Napoleon einfallen lassen wird, wie wir über diesen Fluß kommen?« fragte ein Leutnant. Er und Gerter blickten über die weite Wasserfläche, auf der Eisschollen und Reste von verbrannten Brücken trieben.
    »Selbst wenn er es irgendwie schafft, neue Brücken zu bauen, wird es zur Katastrophe kommen«, unkte der Leutnant und informierte Gerter, daß weiter unten am Fluß der russische General Wittgenstein mit ungefähr 33.000 und General Tschitschagow mit etwa 36.000 Mann auf die französische Armee warteten. Gerter, der erfahren hatte, daß Kutusow mit mehr als 100.000 Mann dem müden Heer nachsetzte, fragte sich, wie sich das Feldherrengenie Napoleon mit seinen nunmehr wieder 70.000 Soldaten aus dieser Umklammerung befreien wollte.
    Durch einen fingierten Übergang bei Stakowa gelang es Napoleon, den Gegner zu täuschen, während drei Stunden flußaufwärts Napoleons leitender Pioniergeneral Eblé zwei Floßbrücken schlagen ließ. Da keine Zeit blieb, Bäume zu fällen und zuzuschneiden, wurden Holzbalken aus den Häusern der Dörfer Studianka und Wesselowo mit dem Alteisen der aufgegebenen Geschützlafetten verklammert. Gerter beobachtete, wie in Windeseile zwei neunzig Meter lange Brücken entstanden, eine leichtere für die Infanterie und eine massivere für die Kavallerie.
    Am Morgen des 26. November wurden die Brückenböcke ins schlammige Flußbett gerammt. Entsetzt wurde Gerter Augenzeuge der vorhergesagten Katastrophe. Von den Männern, die bis zum Hals im Wasser standen, kehrten nur wenige ans Ufer zurück. Die meisten erfroren zwischen den Eisschollen, wurden von der Strömung mitgerissen oder starben, als die Wagenbrücke unter Beschuß genommen wurde. Russische Einheiten hatten das Treiben am Fluß inzwischen bemerkt und das Feuer eröffnet.
    Am Nachmittag des 28. November brachte Juliane den Marketenderwagen oberhalb Studiankas zum Stehen und starrte voller Entsetzen auf das Chaos.
    Die Anhöhen waren von wild aussehenden Horden bedeckt, die ziellos herumzulaufen schienen, Menschenknäuel rollten auf die beiden Brücken zu, über die sich in langen Reihen Kanonen, Munitions- und Bagagewagen schoben. Die Leiber auf der Fußgängerbrücke schienen zu einer einzigen beweglichen Masse zusammengeschmolzen zu sein. Schreie von Menschen, die ins Wasser gestoßen oder zertrampelt wurden, die von Flößen in den eiskalten Fluß fielen oder von den Brücken stürzten, vermischten sich mit dem immer näher kommenden Kanonendonner.
    »Bleib hier«, forderte Matthäus seine Frau auf und deutete auf ein fensterloses kleines Steingebäude in der Nähe, das in Friedenszeiten einmal zum Aufbewahren von Futter gedient haben mochte. »Warte da auf mich. Ich will herausfinden, wie und wann wir am besten übersetzen können, wahrscheinlich geht es nur, wenn wir uns den Württembergern anschließen.«
    Auch einem untrainierten Auge hätte auffallen müssen, daß in völlig ungeordneten Reihen über die Brücken marschiert wurde, aber Matthäus weigerte sich, den totalen Zusammenbruch der Disziplin anzuerkennen. Er war überzeugt, daß irgendwo ein Häuflein Württemberger in Reih und Glied auf den Befehl zum Hinübergehen wartete.
    »Nie«, murmelte Juliane, »wir sind zu spät, da kommen wir nie hinüber.«
    Matthäus schaffte es nicht, sich bis zum Ufer durchzukämpfen. Er fragte einige der herumeilenden französischen Soldaten nach Württembergern, aber niemand schenkte ihm Beachtung. Mühsam erklomm er die Steinmauer eines Hauses, dessen Holzdach abgetragen worden war und ließ seinen Blick über die Menge schweifen.
    Plötzlich entdeckte er einen Reiter, der nicht weit von ihm entfernt ebenfalls die Gegend absuchte.
    »Johannes!« brüllte er, verzog schmerzlich das Gesicht, als er von der Steinmauer sprang, und eilte auf den Oberleutnant zu. Der sah ihn erst, als er ihm aufs Bein klopfte. Johannes glitt vom Pferd und umarmte den Korporal.
    »So sehen wir uns wieder!« jubelte Johannes und Matthäus nickte ernst: »Gott meint es gut mit uns, daß er uns immer wieder zusammenführt.«
    »Wo ist die Assenheimerin?« Johannes schrie die Frage beinahe heraus und erschrak vor sich selber. Erst

Weitere Kostenlose Bücher